Mehr Wirtschaft wagen
Wenn ein Straßenbauunternehmen in Deutschland einen Autobahnabschnitt baut, dann hat es sein Geld schon verdient, wenn das Teilstück dem Verkehr übergeben wird. Ob die Straße intensiv genutzt wird, ist nicht entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg der Baufirma. Ob es sich bei dem Bauprojekt möglicherweise um verschleudertes Steuergeld handelt, beschäftigt dann erst Jahre später die Politik und die Rechnungshöfe. Seit der Straßenbau vor rund 100 Jahren in den USA als Kernstück des New Deals und somit als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme vorangetrieben wurde, ist der Ausbau des Straßennetzes eine staatliche Hoheitsaufgabe. Auch im Deutschland der 1930er Jahre wurde der Autobahnbau als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme betrieben, wobei übrigens das erste Autobahnstück nicht den Nazis zugeschrieben werden kann, sondern dem damaligen Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer…
Dabei sind es vor allem Unternehmen und ihre wirtschaftlichen Pioniere, die den Ausbau von Infrastrukturen antreiben. Das US-amerikanische Schienennetz konnte nur so schnell entstehen, weil Eisenbahn-Magnaten wie Cornelius Vanderbilt oder Andrew Carnegie Geschäftsmodelle entwickelten, die auf der Nutzung der Schienen als Bauprojekt und Transportservice beruhten. John D. Rockefeller baute nicht nur das erste vertikal integrierte Unternehmen auf, das praktisch alle Produktionsschritte von der Ölexploration über die Förderung bis zum Tankstellennetz der Standard Oil (EssO) unter einen Hut brachte, sondern schuf durch günstige Verbraucher wie zum Beispiel kostenlose Öllampen überhaupt erst die Nachfrage für sein Petroleum. Der Niedergang ihrer Konzerne erfolgte interessanterweise immer, nachdem der Staat regulierend eingriff.
Nicht anders verlief der Ausbau der Infrastruktur für Elektrizität und Telegrafie. Und nichts anderes scheint sich derzeit beim Ausbau unseres wohl wichtigsten Netzwerks, dem Internet, zu vollziehen. Ob Elon Musk mit Starlink Tausende Satelliten in den Orbit schickt, um Empfang und Bandbreite auch in entlegenen Gegenden dieser Erde möglich zu machen, oder ob Microsoft mit Milliardenaufwänden rund um den Globus Hyperscaler installiert, um der gestiegenen Nachfrage nach Cloud-Rechenzentren und KI-Rechenleistung zu begegnen – überall zeigt sich, dass die Wirtschaft schafft, wo die Politik nicht tickt.
Allein Microsofts jüngstes Investment im Rheinischen Revier übersteigt das staatliche Engagement in KI-Forschung und -Entwicklung, das darüber hinaus auch noch auf fünf Jahre gestreckt ist. Doch damit nicht genug: Konzerne wie Siemens bauen eigene Kindergärten, gründen Bildungseinrichtungen und investieren in die lokale Verkehrsinfrastruktur. Im Zuge der Energiewende sind es die Unternehmen, die ihre Energieversorgung auf Erneuerbare umstellen und ihre Produktionsprozesse auf Nachhaltigkeit und Umweltfreundlichkeit trimmen. Sie tun dies auch dann, wenn staatliche Anreize wegen der Schuldenbremse ausbleiben.
Das Risiko liegt bei den privaten Investoren, nicht in der öffentlichen Hand. Denn sollte sich – was viele noch für wahrscheinlich halten – künstliche Intelligenz als eine zu Unrecht gehypte Technologie erweisen, dann sind es die Tech-Giganten, die auf ihren Milliarden-Abschreibungen sitzenbleiben. Wenn Microsoft in Dänemark nicht nur in diesen Tagen ein Cloud-Rechenzentrum eröffnet, sondern zugleich einen ganzen Stadtteil mit Fernwärme versorgt, dann liegt das an der gesellschaftlichen Verantwortung, die von Unternehmen mehr und mehr wahrgenommen wird. Wo der Staat nicht kann oder will, kann und will die Wirtschaft – vorausgesetzt, es besteht ein geeignetes Geschäftsmodell, das Gesellschaftern, Investoren oder Aktionären die erhoffte Rendite verspricht. Wo das nicht besteht, erleiden Infrastrukturen einen schleichenden Abbau, wie die Beispiele der nicht gewinnorientierten britischen Railtrack und der Deutschen Bahn zeigen.
Wir brauchen eine Industriepolitik, die zugleich Infrastrukturförderung ist. Dann müssen wir auch weniger Geld für Umverteilung und soziale Sicherung reservieren – inzwischen der bei weitem größte Teil des Bundeshaushalts. Stattdessen werden immer neue Bürokratiemonster entworfen wie die Planung von 5000 Stellen für die Verteilung der Kindergrundsicherung oder die Nachweispflichten im Lieferkettengesetz.
Es ist faszinierend, dass Corporate Social Responsibility schneller und effizienter zur Verbesserung eines sozialen Umfelds in der Umgebung eines Unternehmens führen kann, als es durch kommunale Initiativen gelingt. Doch der Vorwurf, mit philanthropischen Aktivitäten nur eigene Vorteile unterstützen zu wollen, um Profit und Marktmacht zu stärken, ist immer noch schnell bei der Hand. Auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird schnell bemüht, wenn ein Tech-Gigant Dienste gegen Daten anbietet. Das Argument vom Verlust der informationellen Souveränität ist schnell bei der Hand, wenn sich ein IT-Service als so erfolgreich erweist, dass ihn alle nutzen wollen.
Hinter diesem Misstrauen mögen stets gute Absichten stecken. Doch der Ausbau unserer Infrastruktur und damit unserer Wirtschaftskraft gelingt nicht, wenn wir dies der Politik überlassen. Jedes Schlagloch auf unseren Straßen gibt darüber beredt Auskunft. Es wird Zeit etwas weniger Politik und dafür etwas mehr Wirtschaft zu wagen.









