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Bonnblog... frisch eingetroffen!

von Heinz-Paul Bonn 29 Apr., 2024
Die Aussichten sind bescheiden – das kann auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck nicht schönreden. Wir müssen zufrieden sein, wenn die wirtschaftliche Entwicklung im laufenden Jahr stagniert und die Wirtschaftsleistung nicht weiter zurückgeht. „Negatives Wachstum“ nennt man das gerne euphemistisch, weil Schrumpfen einfach nicht ins Vokabular von Politikern zu gehören scheint. Auch wenn der Bundeswirtschaftsminister letzte Woche für das kommende Jahr leichte Verbesserungen prognostiziert – langfristig bleiben die Aussichten trist. Das Wachstumspotenzial wird für die kommenden Jahre auf gerade einmal 0,6 Prozent geschätzt. Deutschland steckt in einer veritablen Krise. „Die Situation ist so anspruchsvoll, dass wir uns nicht zurücklehnen dürfen, sondern weiter hart arbeiten müssen“, sagt Habeck bei seinem Auftritt vor der Bundespressekonferenz. Und dann folgt ein Satz, der aufhorchen lässt: „Darauf haben, denke ich, Herr Russwurm und die deutsche Wirtschaft hingewiesen, und das sieht niemand in der Regierung anders.“ Wirklich? Gehört der deutsche Bundeskanzler etwa nicht zur Regierung – steht er über ihr, aber nicht in ihr? Es wurmt ganz einfach, wenn ernstgemeinte und staatstragende Reformvorschläge aus der Wirtschaft abgetan werden als Klage, die das Lied des Kaufmanns sei. Mit dieser – bei allem Respekt, Herr Bundeskanzler – Plattitüde kann man nun wirklich keine Wirtschaftspolitik betreiben, wie sie uns beispielsweise die Biden-Regierung mit dem Wirtschaftsförderungsprogramm IRA vormacht. Der amerikanische Kaufmann klagt nicht, weil seine Regierung handelt. Die Klage vom ewig klagenden Kaufmann sitzt tief, sie wurmt! Erstmals öffentlich vorgebracht hatte sie der Kanzler auf der Handwerksmesse in München Anfang des Jahres. Dort hatten die führenden Wirtschaftsverbände ein Zehn-Punkte-Papier vorgelegt, um von Bürokratieabbau bis Fachkräftemangel alle Themen zu diskutieren, die der deutschen Wirtschaft unter den Fingernägeln brennt. Doch dazu kam es nicht: Der Kanzler stimmte sein geflügeltes Wort vom klagenden Kaufmann an und ging weiter. Außer Spesen nichts gewesen. Dem Handelsblatt offenbarten jetzt zahlreiche Konzernchefs aus dem DAX, dass Wirtschaftstreffen mit dem Bundeskanzler meist ergebnislos enden und argumentativ im Sande verlaufen. „Die Erwartung ist gering, dass sich wirklich was bewegt“, wird ein DAX-Vorstandschef anonym zitiert. Wie das aussieht, lässt sich praktisch minutiös nachverfolgen. In einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung fasste BDI-Präsident Russwurm die Halbzeitbilanz der Ampel mit den Worten zusammen, es seien „zwei verlorene Jahre“ gewesen. Der Kanzler konterte postwendend, es handele sich bei der Politik unter seiner Führung um längst eingeleitete Reformen. Der Beweis: mit der Abschaffung der EEG-Umlage habe er für Entlastungen in Höhe von 20 Milliarden Euro gesorgt. Wo, bitteschön, bleibe da der Dank? Zugegeben: das hat zahllosen vor allem mittelständischen Unternehmen Luft verschafft – angesichts explodierende Strom- und Gaskosten. Aber damit verbindet sich keine strukturelle Reform, keine Verbesserung der Infrastruktur, keine Senkung des Bürokratieaufwands, keine Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, keine Verbesserung der Wettbewerbssituation. Doch wer darauf hinweist, macht sich des Vorwurfs schuldig, den Standort Deutschland schlecht zu reden. „Wenn Sie mich fragen, lieber Herr Russwurm, dann waren das zwei Turnaround-Jahre“, wiederholt der Bundeskanzler sein Selbstlob zum Auftakt der Hannover Messe Industrie. Sodann kanzelte der Kanzler den BDI-Präsident öffentlich ab: „Kleine Bitte, lassen Sie uns den Wirtschaftsstandort Deutschland stark machen und nicht schlechtreden.“ Wer den Wirtschaftsstandort Deutschland stark macht, zeigten daraufhin Austeller aus Deutschland in den Messehallen und auf dem Freigelände. Bei seinem Messe-Rundgang holte den Kanzler seine Klage über die Kaufmannsklage wieder ein: „Das Lied der Industrie sind Lösungen“ hieß es vieldeutig beim hessischen Mettalunternehmen Rittal. Und genau darum geht es: Wir brauchen Lösungen und keine Rechthaberei. Doch „die Wirtschaft dringt mit ihren Sorgen und Rufen in der Bundesregierung nicht mehr durch“, resümierte BASF-Chef Martin Brudermüller in einem Handelsblatt-Interview. Es wurmt! Und man könnte sich den Mund abputzen und zur Tagesordnung zurückkehren. Doch die Herausforderungen, vor denen die deutsche Wirtschaft steht, sind Teil dieser Tagesordnung, vor der niemand weglaufen kann. Während sich die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel noch auf steigenden Wirtschaftszahlen ausruhen konnte – auch weil die Wirtschaft von billigem russischem Gas und einer prosperierenden Wirtschaftsmacht China profitierte – und das „Aussitzen“ weitgehend folgenlos blieb, kann sich die aktuelle Bundesregierung auf vergleichbaren positiven Effekten nicht ausruhen. Wer da mahnt, redet nicht den Standort schlecht, sondern ruft zur Besserung auf. Wer sich dagegen taub stellt, lässt zumindest zu, dass es dem Standort nicht besser geht. Das wurmt in der Tat. 
von Heinz-Paul Bonn 22 Apr., 2024
Es ist der ganz große Auftritt von Mario Adorf als Fabrikant Heinrich Haffenloher in der wunderbaren TV-Serie „Kir Royal“ um den Münchner Klatschkolumnisten Baby Schimmerlos: „Ich kauf dich einfach. Ich kauf dir ´ne Villa, da stell ich dir dann noch ´nen Ferrari davor. Deinem Weib schick ich jeden Tag ´nen Fünfkaräter. Ich schieb es dir hinten und vorne rein. Ich scheiss´ dich sowas von zu mit meinem Geld, dass du keine ruhige Minute mehr hast. Ich schick dir jeden Tag Cash – im Koffer. Das schickste zurück – einmal, zweimal, vielleicht sogar ´n drittes Mal. Aber ich schick´ dir jedes Mal mehr... und irgendwann kommt dann nun einmal der Punkt, da biste so mürbe und so fertig und die Versuchung ist so groß, dann nimmstes. Und dann hab´ ich dich. Dann gehörste mir. Dann biste mein Knecht. Dann mach´ ich mit dir watt ich will.“ (Nachzuhören unter diesem Link .) Dieses Bild wird auch heute noch gerne im Vorabendprogramm der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender bemüht, wenn es um die politische Einflussnahme von Unternehmerinnen und Unternehmern geht. Doch die Mär vom die eigenen Interessen verfolgenden Firmen-Clan wird durch ständige Wiederholung nicht zutreffender. Im aktuellen Deutschen Bundestag sind 51 der 735 Abgeordneten Firmenchefs oder –chefinnen. Im Vorgängerparlament waren es noch 76 von 709 Abgeordneten. Nicht eingerechnet sind Selbständige wie Rechtsanwälte oder Ärzte. In den kommunalen Parlamenten – in Städte- und Gemeinderäten, in den Kreis- und Landtagen – sieht die Beteiligung nicht besser aus. Dennoch überlebt das Bild vom ewig mauschelnden und klüngelnden, in jedem Fall seine Interessen wahrenden „Strippenzieher“. Dabei wäre mehr „unternehmerischer Sachverstand“ in unseren politischen Gremien durchaus wünschenswert. Es geht schließlich um Gestaltung und die dafür nötigen finanziellen und organisatorischen Mittel. Wer könnte dies besser – und vor allem ohne großen Bürokratieaufwand – in die Wege leiten als mittelständische Firmenlenker? Doch Firmen wirken offensichtlich auch ohne aktive Beteiligung in den politischen Raum hinein. Eine bemerkenswerte Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft weist eine frappierende Korrelation zwischen der lokalen Existenz von Familienunternehmen – und damit der in den jeweiligen Wahlkreisen wohnenden Beschäftigten – und dem Wahlverhalten nach. Die Studie erklärt mit wissenschaftlich stichhaltigen Methoden das gute Abschneiden von FDP und Union in Wahlkreisen mit einem hohen Anteil an Familienunternehmen: „Bei einer höheren Lebenszufriedenheit dürften Parteien aus dem konservativ-liberalen Spektrum profitieren – und dementsprechend die SPD verlieren.“ Die Autoren schlussfolgern weiter: „Es ist denkbar, dass die Arbeitsplatzsicherheit in Familienunternehmen höher ist oder als höher empfunden wird. Entsprechend würde die soziale Absicherung bei der Wahlentscheidung in den Hintergrund treten. Arbeitnehmer in Familienunternehmen mögen zudem eine höhere Lebenszufriedenheit aufweisen, wenn sie sich stärker mit ihrem Arbeitgeber identifizieren oder wenn das Familienunternehmen durch gesellschaftliches Engagement die Lebensqualität vor Ort erhöht.“ In einer Studie des Stifterverbands zeigt sich, dass Unternehmen ganz allgemein politischer werden. Der Begriff der Corporate Political Responsibility“ – also der aktiven Wahrnehmung politischer Verantwortung – gewinnt an Bedeutung. Das zeigt sich in vielen Facetten. So ist die Weigerung eines niederländischen Unternehmens, Rollrasen für die Fußball-Weltmeisterschaft in Qatar zu liefern, legendär. „Neben dem gut geführten Unternehmen, das erfolgreich agiert, professionalisiert sich immer mehr auch die ökologische und soziale Positionierung“, fassen die Autoren in ihrem Diskussionspapier zusammen. Sie stellen allerdings auch fest, dass „die Firmenlogos nicht überall in Regenbogenfarben erstrahlen“. Oder wie es das Handelsblatt in einer Kommentierung formuliert: „Die Konzerne zeigen ihre politische Haltung nur in jenen Ländern, in denen es ihnen kommerziell nicht wehtut." Aber dennoch: Immer mehr Unternehmerinnen und Unternehmer zeigen Haltung. Das hat in Familienunternehmen, die mit ihrer Kommune, mit ihrer Region aufs engste verbunden sind, Tradition. Es zeigt sich aber mehr und mehr in politischen Aktivitäten, die über die sogenannten ESG-Kriterien – also Environment, Social, Gouvernance – hinausgehen. Als Microsofts Präsident Brad Smith zusammen mit Bundeskanzler Olaf Scholz das Investment von 3,2 Milliarden Euro in Deutschland bekanntgab, ging es nicht nur um den Bau von Hyperscalern und die Qualifizierung von Menschen in Sachen KI. Es ging auch um „das Vertrauen in Deutschland“, wie es hieß. Wenige Tage später, als ein vergleichbares Engagement in Spanien angekündigt wurde, war Brad Smith sogar noch deutlicher: „Unsere Investition geht über den Bau von Rechenzentren hinaus. Sie ist ein Beweis für unser 37jähriges Engagement in Spanien, für die Sicherheit des Landes, die Entwicklung und die digitale Transformation in Spanien, für die Unternehmen und die Bevölkerung.“ Dass ein Konzern einem Land gute Noten attestiert, ist in der Tat eine neue Phase in der politischen Beteiligung von Unternehmen. Inzwischen geht Microsoft sogar noch weiter und unterstützt im vielsprachigen Indien die Beteiligung der Bevölkerung an der Bildungsgesellschaft, indem dort KI-gestützte Übersetzungswerkzeuge für praktisch jeden indischen Dialekt bereitgestellt werden. In Australien und Neuseeland hat Microsoft zusammen mit lokalen Organisationen das gewinnorientierte Unternehmen Indigital gegründet, das sich im indigenen Besitz befindet. Indigital nutzt digitale Technologien wie künstliche Intelligenz, erweiterte oder gemischte Realitäten als Weg, um das indigene Erbe zu erlernen und es nutzt die Kultur der First Nations, um digitale Fähigkeiten als Weg in die Zukunft der Arbeit zu vermitteln. Das beginnt bereits in den Schulen, wo indigene und nicht-indigene Kinder die Chance haben, kulturelles Wissen, ihre Geschichte und ihre Sprache zu lernen, während sie gleichzeitig digitale Fähigkeiten in Spitzentechnologien wie Augmented Reality und Coding erlernen. Überall auf der Welt greifen Tech-Unternehmen immer tiefer in die politische Gestaltung der Länder ein, in denen sie aktiv sind. Es ist eine Entwicklung, die jeder Unternehmer, jede Unternehmerin für sich entdecken sollte. Mario Adorfs Heinrich Haffenloher hatte nur seine persönlichen Interessen im Blick. Aber das Unternehmertum von heute verbindet seine kaufmännischen Ziele mit den Interessen des Gemeinwohls – und greift dabei der oft hilflosen oder zumindest glücklosen Politik unter die Arme. Mehr unternehmerischer Sachverstand muss sich nicht auf Parlamente beschränken. Die Zahl der möglichen Initiativen ist riesig – von A wie Aufforstung bis Z wie Zukunftssicherung. Deshalb: Werdet politischer! Ich weiß aus meinem persönlichen Umfeld, dass mittelständische Unternehmer dazu neigen, ihr soziales und politisches Engagement eher im Verborgenen auszuüben und viele großherzige Initiativen kaum oder gar nicht erwähnt haben wollen. Das halte ich in diesen Zeiten für nicht richtig. Schreiben Sie mir von Ihren politischen Aktivitäten und sozialen Initiativen. Wir brauchen eine Plattform für diese Leistungen. Deshalb noch einmal: Werdet politischer!
15 Apr., 2024
Wenn wir etwas groß oder großartig nennen wollen, dann neigen wir zur Vorsilbe „mega“. Auf die Idee, etwas „kilo“ – also das Tausendfache – zu nennen sind wir nie gekommen. Auch das Milliardenfache – also „giga“ – hat es außer beim „Gigantismus“ nicht in unseren Sprachgebrauch gebracht. Ganz zu schweigen von Zetta oder Peta. Dabei sind wir längst in diesen Dimensionen angekommen. Doch die Eindrücke des soeben erlebten Konzerts von Taylor Swift „peta“ zu nennen, würde uns nicht einfallen – obwohl die Pop-Ikone längst zu den Milliardären gehört, also kein „Megastar“ ist, sondern ein „Gigastar“. Unsere globale Infrastruktur misst sich längst nicht mehr nur in gängigen Größenordnungen: Allein in Deutschland fahren täglich 51.000 Züge für Personen und Güter auf dem etwas mehr als 38.000 Kilometer großen Schienennetz, das entspricht also 38 Megametern. Doch schon gegen das Straßennetz sieht die Schiene zwergenhaft aus: Mit rund 630 Megametern liegt das deutsche Straßennetz weltweit auf Platz 13. Für deren Erhalt wurden im vergangenen Jahr 8,4 Giga-Euro aufgewendet – zu wenig angesichts der maroden Brücken und Schlaglöcher im Asphalt. Spitzenreiter sind nicht überraschend die USA, deren Straßennetz 6,5 Gigameter beträgt, gefolgt von Indien mit 4,7 Gigametern. Doch was ist das alles gegenüber unserer digitalen Infrastruktur. Allein zwischen 2010 und 2020 wuchs der jährliche Speicherbedarf für Daten von zwei auf 44 Zettabyte – das sind also 44 Billionen Gigabyte oder eine 44 mit 21 Nullen. Inzwischen hat sich der Speicherbedarf erneut verdoppelt. Und bis zum Jahr 2028 wird sich der Bedarf erneut mehr als verdoppelt haben - auf dann knapp 200 Zettabyte. Der größte Teil dieses Speicherbedarfs – und des damit verbundenen Rechenbedarfs – wird von rund 800 Großrechenzentren bedient. Die wenigsten dieser sogenannten Hyperscaler befinden sich in öffentlicher Hand. Die meisten stehen in den USA – sie repräsentieren etwa 40 Prozent des weltweiten Bedarfs an Computerleistung. Man muss sich diese Größenordnungen verdeutlichen, um zu verstehen, wie umfassend der Paradigmenwechsel ist, der sich unmerklich, aber unaufhörlich im Ausbau und der Pflege unserer Infrastrukturnetze vollzogen hat. Während sich der Staat noch auf die hoheitlichen Aufgaben besinnt, unser Schienen-, Wasser- und Asphaltstraßen-Netz, sowie Elektrizitäts-, Gas-, Wasser- und Abwassernetz zu finanzieren, ist er bei der digitalen Infrastruktur nahezu außen vor. Der zögerliche, allmählich aber vollzogene Ausbau unseres Telekommunikationsnetzes mit Glasfaserkabeln zeigt allerdings, dass staatliche Organisationen auch nicht optimal ausgerichtet sind, um eine schnell wachsende Infrastruktur aufzubauen. Umgekehrt sollte uns der Niedergang der englischen Eisenbahnen auch davor warnen, alles der privaten Wirtschaft zu überlassen. Aber wenn allein Microsoft – wie vielfach berichtet – 3,2 Milliarden Euro in deutsche Cloud-Rechenzentren investieren will, dann steht das schon in der gleichen Größenordnung wie die 8,4 Milliarden Euro, die die öffentliche Hand im vergangenen Jahr für das gesamte Straßennetz aufgewendet hat. Weltweit beläuft sich das derzeit kommunizierte Investment von Microsoft auf rund 50 Milliarden Dollar, wodurch Cloud- und KI-Infrastrukturen in den USA, in Europa, Südostasien und Ozeanien ausgebaut werden. Hinzu kommen geschätzte 100 Milliarden Dollar, die Microsoft und das KI-Startup OpenAI unter dem Projektnamen „Stargate“ in einen völlig neuen Supercomputer investieren wollen, der künftige KI-Entwicklungen beschleunigen soll. Plus die noch einmal in dieser Größenordnung geschätzten Aufwendungen für die Weiterentwicklung (und Marktreife) von Quantencomputern. Und Microsoft ist bei weitem nicht allein: 87,9 Milliarden Dollar generiert Microsoft nach eigenem Geschäftsjahresbericht mit der Cloud. 90,8 Milliarden Dollar sind es laut deren Geschäftsjahresbericht bei Amazon. Die Google-Mutter Alphabet kommt nach ihren eigenen Zahlen auf 33 Milliarden Dollar. Gedeckt werden diese Umsatzzahlen durch weltweit steigenden Bedarf an Cloud-Diensten, die vom Handwerksbetrieb über mittelständische Unternehmen bis zum globalen Konzern nachgefragt werden. Und nicht zuletzt sind es die privaten Nutzer die mit ihren 5,1 Milliarden weltweit aktiven Smartphones-Accounts Cloud- und KI-Leistungen abrufen. Und es sind die Millionen vernetzten Autos, die auf der durch private Anbieter voll ausgebauten Datenautobahn mit Navigationshilfe an den Staus vorbeifahren, die durch schlecht ausgebaute Straßen, marode Brücken oder ausgefallene Zugverbindungen entstehen. Wir leisten uns staatliche Misswirtschaft in den primären Hoheitsgebieten der Daseinsvorsorge, während gleichzeitig von den Ländern beauftragte Datenschützer vor der Vorherrschaft privater Tech-Anbieter in der digitalen Infrastruktur warnen. Und wir leisten uns eine Schuldenbremse, die unsere Kinder zwar vor neuen Schulden schützen soll, dabei aber genau jene Infrastrukturverbesserungen verhindert, die eigentlich die wirtschaftlichen Potentiale bieten könnte, mit denen dieser Schuldenberg auch wieder abgebaut werden könnte. Wir müssen uns fragen: Wer spinnt unser Netz der Zukunft? Sind es die privaten Anbieter – dann könnten wir zuversichtlich sein, dass es gelingt. Sollte es die öffentliche Hand sein – dann beginnt die Zukunft wahrscheinlich erst später. Oder gelingt es uns, Finanzierung und Genehmigungsverfahren zu optimieren? Und könnte das nicht auch ebenso für die Energiewende gelten? Oder für den Kampf gegen den Klimawandel? Unser Straßen- und Schienennetz ist nun wirklich kein Empfehlungsschreiben für die öffentliche Hand. Die Erneuerung unserer Infrastrukturen – und erst recht ihr Ausbau – sind nicht Megaprojekte, sondern im wahrsten Sinne des Wortes giga-ntisch.
von Heinz-Paul Bonn 08 Apr., 2024
Bundeskanzler Olaf Scholz wünschte sich etwas mehr „Spirit für die ganze Regierung“. Wie er sich diesen Spirit vorstellte, präzisierte er dann auch gleich auf seine unnachahmlich unpräzise Weise: „Da ist was drin mit Unterhaken, auch in der Regierung.“ Dann ging er in den Osterurlaub. Doch seine Minister machten munter weiter und setzen nicht nur ihren Dauerstreit über altbekannte Themen fort, sondern fügen inzwischen auch neue Streitpunkte hinzu: Kindergrundsicherung, Bürgergeld und Rentenpaket II, Schuldenbremse, Haushaltsloch und nicht zuletzt Unterstützung für die Ukraine. Doch ein ganz anderes „Unterhaken“ wäre jetzt vonnöten und wird von führenden Wirtschaftsvertretern auch mit zunehmender Vehemenz eingefordert. „Ich habe den Eindruck, dass der Ernst der Lage im Kanzleramt immer noch unterschätzt wird“, schreibt BDI Präsident Siegfried Russwurm im Business-Netzwerk LinkedIn und legt im Interview mit der Süddeutschen Zeitung noch nach: „Wir müssen ehrlich sein: Im globalen Wettbewerb waren die letzten zwei Jahre für den Wirtschaftsstandort verlorene Jahre.“ Er ist nicht allein: auch DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben hat die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung heftig kritisiert. "Im Vergleich von vor zwei Jahren hat Deutschland unter dem Strich verloren, in der Tat", sagte Wansleben den Zeitungen der Mediengruppe Bayern, zu der die Passauer Neue Presse und der Donaukurier gehören. Verantwortlich dafür seien nicht allein die externen Einflüsse, das habe auch mit der Politik der Bundesregierung zu tun. Denn statt einer der Hauptforderungen der deutschen Wirtschaft nachzugeben und den Bürokratieabbau massiv anzugehen, gebe es vielmehr „Regulierungen, Regulierungen, Regulieren“. Wansleben erlebt nach eigenem Bekunden „in den Reihen unserer Mitgliedsunternehmen viel Frust." Statt Unterhaken also eher "So was wie einen Vertrauensverlust in die Regierung. Man hat in den Betrieben das Gefühl, mit seinen Sorgen und Nöten von der Politik nicht wahrgenommen zu werden." Es gebe eine Empfindungs- und Kommunikationslücke. Als Dritter schlägt schließlich Arbeitgeberpräsident Reiner Dilger Alarm. Er zeigte sich gegenüber der Bild-Zeitung „fassungslos“, dass Bundesarbeitsminister Hubertus Heil "jetzt noch einmal massiv die Rentenausgaben erhöhen will, obwohl wir vor dem größten Alterungsschub stehen, den es jemals in Deutschland gegeben hat". Das Rentenpaket II wäre das "teuerste Sozialgesetz des Jahrhunderts", warnte Dulger. Das Vorhaben müsse daher "umgehend gestoppt werden". Es sei "unfair und ungerecht, in den nächsten 20 Jahren 500 Milliarden Euro mehr für die Rente auszugeben". Das mögen die Rentner anders sehen – insbesondere jene, die ohnehin am Existenzminimum kratzen. Zudem ist es durchaus volkswirtschaftlich sinnvoll, die stetig wachsende Bevölkerungsgruppe der Rentner mit mehr Masse auszustatten, um so den privaten Konsum anzukurbeln. Doch mit einem 500-Milliarden-Programm könnte man auch den wertschöpfenden Teil der Bevölkerung „unterhaken“. „Viele Maßnahmen – zum Beispiel Bürokratieabbau oder Freihandelsverträge – kosten nichts, helfen aber viel“, schreibt BDI-Präsident Russwurm. „Für anderes wiederum wird der Staat zielgerichtet Geld in die Hand nehmen müssen, um etwa in Infrastruktur und Forschung zu investieren oder die Unternehmenssteuerlast zu senken. Das sollte uns unser Industrie-, Export- und Innovationsland allemal wert sein.“ Doch die im Kanzleramt wahrgenommene Realität scheint eine ganz andere zu sein. Dort scheint man dem unsterblichen und ewig falschen Narrativ vom jammernden Kaufmann nachzuhängen, der sich selbst und die ganze Wirtschaft schlecht redet und gleichzeitig die Hand aufhält, um Steuererleichterungen, Subventionen und längere Arbeitszeiten durchzusetzen. Doch das Gegenteil sei der Fall, wirbt Russwurm für mehr Verständnis: „Wirtschaft will wirtschaften, transformieren, innovieren, wachsen – lassen wir sie das doch tun!“ Der Kaufmann jammert vielleicht, weil er die Verhältnisse kennt. Aber er handelt auch, weil er die Verhältnisse ändern will. Davon hat Deutschland schon immer profitiert. Da muss man noch nicht einmal die legendäre Nachkriegszeit bemühen. Es wird Zeit für ein neues Sommermärchen: Wenn Wirtschaft und Politik einander endlich unterhaken würden. Eine Aktion, die uns wohl schon in der Merkel-Ära abhandengekommen sein muss. Es wird Zeit, sie wiederzuentdecken. Das wäre eine Form des Unterhakens, mit der Bundeskanzler Olaf Scholz in die Sommerferien gehen könnte.
von Heinz-Paul Bonn 02 Apr., 2024
Man möchte reflexartig einen kleinen Skandal wittern: Nach nur drei Jahren im Amt verlässt Marianne Janik nicht nur den Posten der Deutschlandchefin bei Microsoft. Anders als ihr Vorvorgänger im Amt, Ralph Haupter, der vom Deutschlandchef zum Europachef avancierte, kehrt Marianne Janik dem Microsoft-Konzern fürs erste den Rücken und wandert in Richtung einer noch nicht näher benannten Adresse ab. Doch der Wechsel an der Spitze einer Landesgesellschaft hat bei Microsoft Methode. Schon Janiks Vorgängerin Sabine Bendiek, die vor drei Jahren den Chefposten in München in Richtung SAP verließ, war lediglich drei Jahre bei Microsoft im Amt. Den Vorstandssitz als SAP-Arbeitsdirektorin hat Sabine Bendiek allerdings inzwischen auf eigenen Wunsch auch schon wieder geräumt. Ohnehin gilt diese Führungsposition im Personalsektor bei SAP als Schlangengrube. Auch die Vorgänger von Sabine Bendiek hielten es dort nicht lange aus. Offiziell ging alles immer einvernehmlich vonstatten. Inoffiziell munkelt man dagegen, dass der Wandel des Walldorfer Softwarekonzerns zur Cloud Company personell nur äußerst schwierig zu orchestrieren sei. Verknöcherte Strukturen und das Festhalten an ihnen sind der wesentliche Hinderungsgrund für eine innere Erneuerung eines Unternehmens. Diesen Zwang zur Veränderung in Richtung Cloud und – als Konsequenz daraus – zu einer KI-gestützten Tech-Company müssen derzeit alle Unternehmen bitter bezahlen, wenn sie zu spät dran sind. Denn das Management für dieses Change Management ist rar gesät. Doch ohne Hinwendung zu digitalen Geschäftsmodellen und KI-gestützten Analysen geht selbst den Champions der Marktvorsprung verloren. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Wer zu spät geht, den bestraft die Zukunft. Beim Change Management handelt es sich um eine sehr spezielle, aber in ihren Auswirkungen extrem zukunftsorientierte Form des Fachkräftemangels. Denn angesichts der Tatsache, dass praktisch jeder Geschäftsprozess heute in Software gegossen ist und jede Erkenntnis spätestens morgen mithilfe von künstlicher Intelligenz gefördert wird, verlangt der Wandel in die Cloud und den aus ihr bereitgestellten KI-Leistungen neue rar gesäte Management-Qualitäten, ebenso wie auch die Energiewende, der Klimawandel oder New Work mit variablen Arbeitszeitmodellen kürzeren Arbeitszeiten und einer völlig neu interpretierten Work/Life-Balance. Das alles ist keine leichte Aufgabe – erst Recht nicht, wenn man sich dem Wandel standhaft entgegensetzt oder zu lange mit der Nachfolge zögert. Doch während die internationalen Konzerne sich vergleichsweise leicht tun, frische Kräfte ins Unternehmensmanagement zu holen, sieht sich der Mittelstand in einer schon seit langem grassierenden Nachfolgekrise. Jeder dritte mittelständische Unternehmer ist laut einer aktuellen Studie der KfW bereits heute über 60 Jahre alt. Danach sind derzeit bereits zwei von fünf von ihnen dabei, die Firmengeschicke in jüngere Hände zu geben. Nur zwei von Fünf: Wenn jetzt – nur um ein typisches Beispiel zu nennen – der Trigema-Chef Wolfgang Grupp mit 81 Jahren die Verantwortung für den Burladinger Trikotagenbetrieb unter großem Werbe- und Medienaufwand an seine Frau und seine Kinder übergibt, die schon lange im Betrieb aktiv sind, dann zeigt dies auch, dass Loslassen ein schwieriges Element des Change Managements ist. Dies sei bei allem Respekt gegenüber der unternehmerischen Leistung von Wolfgang Grupp einmal festgestellt. Ich selbst habe mein Unternehmen möglichst früh, aber immerhin doch im Rentenalter, in jüngere Hände gegeben und dabei die Chance gesucht, neue Kräfte, neues Kapital, aber eben auch neuen Zeitgeist ins Unternehmen zu holen. Vielleicht lässt sich konstatieren, dass Microsoft-Gründer Bill Gates ein wenig zu spät die Geschicke des Softwarekonzerns in andere Hände gegeben hat und dadurch, dass sein Nachfolger aus dem eigenen Microsoft-Dunstkreis aufstieg, eben genau kein Change Management in Gang gebracht hatte. Als der aus Indien stammende Satya Nadella das Heft vor zehn Jahren in die Hand nahm, war dies zwar auch eine Person mit erheblicher Microsoft-Vergangenheit – doch sein Kulturkreis und seine Sozialisierung unterschieden sich fundamental von der eines Gates oder Ballmers. Für den deutschen Chefposten hat sich Microsoft erstens wieder für eine Person entschieden, die von außen, ja sogar von der Konkurrenz kommt. Und zweitens hat sich Microsoft erneut für eine Frau entschieden: Agnes Heftberger, die 20 lange Jahre bei IBM verbracht hat, wo sie unterschiedliche Führungspositionen in Deutschland, EMEA und in Asien innehatte. Gerade ihre Perspektive aus Down Under könnte – und sollte – hier einiges auf den Kopf stellen können. Microsofts Prinzip der Häutung alle drei Jahre könnte ein Beispiel auch für den Mittelstand sein. Es muss ja nicht gleich ein Eigentümer-Wechsel sein, aber mehr Fluktuation im Management kann ja nicht schaden. Change Management im Management ist dann vorprogrammiert.
von Heinz-Paul Bonn 25 März, 2024
Lange Zeit war im Technologiesektor alles geregelt: Die sogenannte „Weiße Ware“ – also Elektrogeräte mit Gehäuse aus weißemailliertem Blech – gehörten in die Küche, respektive Waschküche. Das Marketing musste in den fünfziger und sechziger Jahren auf die „moderne Hausfrau“ ausgelegt sein, dabei aber den „Herrn des Hauses“, der als Haushaltsvorstand das alleinige Sagen über die Finanzen hatte, positiv ansprechen. „Braune Ware“ hingegen – also meist in „Nussbaum-Furnier“ eingelegte TV-Geräte, Radios oder Plattenspieler – sollten den „technisch Interessierten“ ansprechen. Dabei waren die Produkte zunächst hochpreisig, adressierten den „gut situierten Haushalt“, und sanken in ihren Anschaffungskosten erst mit der Massenproduktion. Danach hatte sie jeder. Marketing war leicht: Schublade auf – und rein kommst du! Vielleicht lässt sich am Personal Computer Anfang der achtziger Jahre der Wendepunkt markieren, seit dem Markteinführungsstrategien komplizierter und vor allem schneller wurden. Der PC war zunächst hochpreisig, um nicht zu sagen überteuert, und für den betrieblichen Einsatz ausgelegt. Dort konnte die Investition steuerlich abgeschrieben werden und „rechnete“ sich – auch wenn am PC kaum mehr getan wurde als man hätte auch an einer Schreibmaschine erledigen können. Dann wurde der PC massenmarktfähig, und völlig andere Nutzenargumente mussten her: Spaß, Selbstverwirklichung, Unabhängigkeit, Flexibilität, Modernität. Und dann hatte ihn jeder. Seitdem, so kann man sagen, wird Technologie immer schneller zum Massenprodukt. Und seit das Internet der vorrangigste Vertriebsweg für „softe Ware“ ist, ist der Massenmarkt der Einstiegsmarkt. Das Produkt reift nach dem „Prinzip Banane“ beim Kunden und wird dann erst Business-tauglich. Bestes Beispiel: ChatGPT, der KI-gestützte Sprachassistent von OpenAI. Das Tool wurde von Anfang an für angemeldete Nutzer kostenlos zur Verfügung gestellt. Handbücher und Anleitungen gab es zunächst nicht. Jeder machte seine eigenen Erfahrungen mit künstlicher Intelligenz und kommunizierte sie. 60 Prozent der erwachsenen Deutschen hatten laut Hightech-Verband Bitkom ein halbes Jahr nach der Erstveröffentlichung von ChatGPT nach eigenem Bekunden schon mal Kontakt mit KI. Erst dann erfolgte die Eignungsprüfung fürs Büro und in der Produktion. Wo OpenAI und deren Hauptfinanzier Microsoft vorangingen, folgten die anderen Tech-Giganten mit Hochgeschwindigkeit: Allen voran Google und sein Mutterkonzern Alphabet blasen zur Aufholjagd, obwohl – wie Microsofts CEO Satya Nadella kürzlich sinnierte – die Kalifornier alles hatten, um als erste den Markteintritt für KI zu wagen. Eines der wichtigsten und faszinierendsten Vorzeigeprojekte von Google ist DeepMind, das 2010 in Großbritannien gegründet und vier Jahre später von Google übernommen wurde. Furore machte etwa AlphaGo als Beispiel für maschinelles Lernen. Die KI, die ausschließlich darauf spezialisiert war, Go zu spielen, schlug 2015 erstmals den Europameister Fan Hui. Das Nachfolgeprodukt AlphaZero erarbeitete sich bereits die Go-Regeln und Spielzüge selbst und besiegte 2017 AlphaGo in einem „KI-Ko-Turnier“ 100 zu Null. Andere DeepMind-Projekte brillierten bei der Analyse von Patientendaten aus dem britischen National Health System, um bei der Überwachung von Patienten mit Nierenschädigungen zu assistieren. Mustererkennung wiederum kam im englischen Fußball zum Einsatz, wo die Laufwege von Kickern aus der Premier League analysiert wurden, um die Torwahrscheinlichkeit berechnen zu können. Und im vergangenen Jahr entdeckte eine weitere DeepMind-Ausgeburt im Rahmen eines materialwissenschaftlichen Projekts 2,2 Millionen neue Kristall-Kombinationen, darunter 300.000 stabile Materialien, die zukünftig im Maschinen- und Apparatebau, bei neuen Leichtbauten oder im Bau von neuen, leistungsfähigeren Batterien genutzt werden könnten. Das alles war Leading Edge und Bleading Edge – an der Weltspitze von Forschung und Entwicklung. Das einzige, was Google nicht tat (und das ist eigentlich ein Rätsel), war die Einführung eines massenmarkttauglichen Produkts mit dem Erfolgspotenzial von Google Search oder Google Maps. Es wird wohl als künftiges Paradebeispiel für das „Innovator´s Dilemma“ in die Marketing-Bücher Einzug finden – also für die Unfähigkeit eines Marktführers, rechtzeitig einen Nachfolger (und Konkurrenten) für seine Cash Cow zu etablieren. Jetzt kooperiert Google mit Apple, um mit dem von Microsoft vorgelegten Tempo bei der KI-Einführung im Massenmarkt Schritt zu halten. Doch gleichzeitig wechselt einer der Gründer von DeepMind, Mustafa Suleyman, zu Microsoft, um dort den Bereich „Consumer AI“ aufzubauen. Noch ist nicht klar, wie viel Energie, Machtbefugnis und Machtmittel der Neue bei Microsoft erhält. Doch eines ist klar: Microsoft will über die Einführung der Copiloten in nahezu allen seinen Lösungsangeboten hinaus den Konsumermarkt bedienen. Dieser Massenmarkt ist zweigeteilt: Er besteht nicht nur aus Einzelpersonen, die als Konsumenten KI auf dem Smartphone, in Computerspielen, bei der Arbeit im Home Office oder bei der Steuerklärung nutzen. Er besteht auch aus den Hunderten Millionen Kleinbetrieben – angefangen beim Handwerk über Anwaltskanzleien und Arztpraxen bis zu Startups in der Seedphase. Sie alle dürften in den kommenden Monaten Zugriff auf KI als „maßgeschneiderte Massenware“ erhalten. Der „Tipping Point“, bei dem aus einem Hype für Wenige ein Prozess entsteht, aus dem heraus „eine signifikante und oft unaufhaltsame Wirkung oder Veränderung stattfindet“, wie man im Merriam-Webster nachlesen kann, steht uns bevor. Danach ist KI ein Massenprodukt. Doch anders als bei weißer und brauner Ware wird der Markt nicht mehr hochpreisig begonnen, sondern von unten aufgerollt. Dabei geht es vor allem darum, wer schneller ist.
von Heinz-Paul Bonn 18 März, 2024
Vlad Latas Bilanz fällt besorgniserregend aus: „Es gibt zu wenige Ärzte – und rund die Hälfte der medizinischen Fachkräfte werden in den nächsten zehn bis 15 Jahren in den Ruhestand gehen. Schon heute haben wir zu viele Patienten, und die Gruppe der über 67-Jährigen wird bis 2035 von 16 auf 20 Millionen wachsen. Parallel verdoppelt sich alle 73 Tage das medizinische Wissen, was kein Arzt mehr ohne digitale Hilfsmittel verarbeiten kann.“ Noch besorgniserregender ist allerdings, was Lata, Mitgründer und CEO von Avi Medical, einem Betreiber von bundesweit 17 Hausarztpraxen, an Shitsorm für sein Plädoyer zugunsten eines konsequenteren Einsatzes von künstlicher Intelligenz im Gesundheitswesen erntete, das er auf der Nachrichtenplattform „Welt Online“ am 29. Februar veröffentlicht hatte: „Wann bekommt man dann Post von Big Brother, dass man … seinen Social Score nicht erfüllt und daher in einer Rehabilitationseinrichtung vorstellig werden muss oder das Doppelte an Beitrag an der Krankenkasse zu bezahlen hat?“ Der Beitrag ist noch einer der harmloseren, zeigt aber ideal auf, wie weit Einsatz und Ressentiments von künstlicher Intelligenz im Gesundheitswesen derzeit – vor allem im Land der Nörgler und Neider – noch auseinanderklaffen. Dabei hat Vlad Lata nichts Revolutionäres vorgeschlagen, sondern nur konstatiert, dass KI als zentrales Steuerungselement Daten analysiert und dem Arzt als zuverlässiger Copilot zur Seite steht. „Durch ihre kognitiven Fähigkeiten erleichtert sie Entscheidungsprozesse und optimiert die individuelle Patientenversorgung.“ Selbst in der Ärzteschaft ist der Einsatz von KI noch immer umstritten, wenn überhaupt fundiertes Wissen über die Möglichkeiten von KI im Gesundheitswesen existiert. Zwar analysieren KI-Systeme schon seit mehr als einem Jahrzehnt Röntgenbilder, helfen bei der Suche nach neuen Wirkstoffen oder analysieren klinische Studien nach nicht offensichtlichen Erkenntnissen. Doch „zu Risiken und Nebenwirkungen“ fragen Sie derzeit am besten noch nicht Ihren Arzt, Ihre Ärztin oder in Ihrer Apotheke, sondern blättern lieber in IT-Zeitschriften. Eine Blitzumfrage in meinem persönlichen Ärzteumfeld jedenfalls machte deutlich, dass auch hier mitunter Nachholbedarf besteht. Dabei gibt es schon heute vielfältige Einsatzmöglichkeiten, ohne dass dabei immer gleich die elektronische Patientenkarte, die für viele Wutbürger offensichtlich immer noch als Einstieg in den Überwachungsstaat gilt, bemüht werden muss: · Krankheitsdiagnose und -erkennung: KI-Modelle werden entwickelt, um Vorhersagemodelle für die Diagnose und Erkennung von Krankheiten zu erstellen. · Behandlungsplanung und Entscheidungsfindung: KI kann Ärzte bei der Planung von Behandlungen und der Entscheidungsfindung unterstützen. · Arzneimittelforschung und -entwicklung: KI hilft bei der Identifizierung potenzieller Wirkstoffe und der Beschleunigung des Forschungsprozesses. · Medizinische Bildgebung und Analyse: KI-Algorithmen können medizinische Bilder wie Röntgenaufnahmen oder MRT-Scans analysieren und Anomalien erkennen. · Remote Patient Monitoring: KI-basierte Systeme ermöglichen die Überwachung von Patienten außerhalb des Krankenhauses, zum Beispiel durch Wearables oder mobile Apps. Und das sind nur die – zum Teil schon seit Jahren bekannten – Basisfunktionen, bei denen künstliche Intelligenz dem Arzt oder der Ärztin bei der täglichen Arbeit helfen kann. Doch weit oberhalb dieser Chancen werden derzeit anspruchsvolle Projekte angestoßen, die zum Beispiel nicht weniger zum Ziel haben als die Verlängerung des Lebens, wenn nicht gar Unsterblichkeit. Google hat sogar eine eigene Tochterfirma zur Erforschung dieser Ziele gegründet. Es geht um die Antwort auf die Frage, warum wir überhaupt altern. Dass damit auch ethische Fragestellungen berührt werden, ist einer der Gründe für die bestehenden Ressentiments. Microsoft hat deshalb jetzt mit Health-Organisationen wie dem Boston Children´s Hospital und der Johns Hopkins Universität sowie vielen anderen Kliniken und Universitäten eine TRAIN genannte Arbeitsgruppe gegründet, die Richtlinien für verantwortungsvolle und zuverlässige KI-Lösungen erarbeiten soll. Denn eine KI kann immer nur so gut sein wie ihre Algorithmen – und die werden von Menschen gemacht. KI steht für ein großes Versprechen im Gesundheitswesen: Medizinisches Fachwissen kann jedem Patienten auf dieser Welt zugutekommen, egal ob er in einer Arztpraxis auf dem Land, in einer Spezialklinik in der Stadt oder auf einem Medizinschiff am Golf von Guinea ärztlichen Rat benötigt. Mit KI entwickelt sich die Medizin von einer überwiegend intuitiven Fachrichtung zur exakten Wissenschaft. Sie überwindet Ärztemangel ebenso wie den Mangel an Pflegepersonal und stellt den Patienten in den Mittelpunkt. Zu Risiken und Nebenwirkungen befragen wir aber besser nicht die Nörgler und Nörglerinnen in diesem Land, die uns in eine Zeit von vor hundert Jahren zurückwünschen.
von Heinz-Paul Bonn 11 März, 2024
Forscherinnen und Forscher des Earth Species Project sind überzeugt: In spätestens 24 Monaten werden sie mit Hilfe von künstlicher Intelligenz in der Lage sein, Tierstimmen zu entschlüsseln. Das Projekt läuft bereits seit einem guten Jahrzehnt – doch erst jetzt kommt mit KI-Unterstützung eine ganz neue Qualität in die Sache. „Niemand ist bislang auf die Idee gekommen, Maschinen darauf zu trainieren, nicht-menschliche Kommunikation zu deuten“, sagt Aza Raskin, der das Projekt mitbegründet hat. Und er fügt reichlich philosophisch hinzu: „Man kann nichts verstehen, was man nicht erkennt.“ Das ist natürlich eine fundamentale Wahrheit, die für alles und jeden gilt. Aber sie gilt ganz besonders für den Umgang mit künstlicher Intelligenz: Es ist entscheidend für den Technologie- und Wirtschaftsstandort Deutschland, dass sich mehr Menschen mit dem Einsatz von KI, ihrer Funktionsweise, ihrem Nutzenpotenzial, ihren Risiken und ihren ethischen Komplikationen auseinandersetzen. Dass Microsoft im Rahmen seines Drei-Milliarden-Investments in Deutschland auch rund 1,2 Millionen Menschen in Sachen KI qualifizieren will, ist in den Medien meist nur einen Nebensatz wert. Tatsächlich dürfte dieser Teil des Projekts aber der Nachhaltigere sein, der sich auf die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands positiv auswirkt. Gleichzeitig ist es peinlich genug für das Bildungsland Deutschland, dass für eine solche Maßnahme die Hilfe eines US-Unternehmens in Anspruch genommen werden muss. Dabei sollte es kaum einen dringlicheren Bildungsauftrag geben. Denn die Beispiele, in denen der Einsatz von künstlicher Intelligenz zu wissenschaftlichen Durchbrüchen, zu neuen Therapiemöglichkeiten oder zu mehr Qualität in der Produktion führt, finden sich täglich in den Nachrichten. Dass KI dabei helfen kann, neue Wirkstoffe für neue Arzneimittel zu finden, ist ein vielgenanntes Beispiel. Dass Forschende aber mit Hilfe künstlicher Intelligenz neue Materialien für leistungsfähige Batterien aus 32 Millionen Kandidaten herausfiltern konnten und jetzt Alternativen für die gängigen, aber umweltschädlichen Lithium-Ionen-Batterien gefunden haben, zeigt die Wirkmächtigkeit von KI. Um den hohen Rechenaufwand überhaupt in absehbarer Zeit meistern zu können, wurde zusätzlich der über die Microsoft Azure-Plattform verfügbare Quantencomputer genutzt. Deutlich praxisnäher ist die App des deutschen Startups PlanerAI, die Bäckereien dabei hilft, nicht nur die richtigen Mengen an Rohstoffen einzukaufen, sondern anhand der Absatzzahlen auch genauer prognostiziert, was und in welchen Mengen für den nächsten Tag produziert werden sollte. Und während die Wetterstationen weltweit immer engmaschiger werden und Myriaden an Daten liefern, zeigt sich, dass angesichts des Klimawandels bestehende Wettermodelle nicht mehr ausreichen. Zudem lassen sich erhebliche Unterschiede im lokalen Wetter beobachten – beispielsweise bei Starkregen. KI-Systeme errechnen anhand unterschiedlicher Wettermodelle und auf der Basis der aktuellen Daten im Minutentakt neue Prognosen – und daran sind nicht nur Touristen interessiert, sondern mehr und mehr Risikoversicherer, Katastrophenschützer und Forscher. Beispiele wie diese müssten eigentlich Ansporn genug sein, tiefer in Digitalen-Themen im Allgemeinen und den KI-Einsatz im Besonderen einzusteigen. Doch das Gegenteil ist der Fall wie eine aktuelle Vergleichsstudie zeigt. Danach verfügen nur 52 Prozent der Deutschen über grundlegende Digitalfähigkeiten. Im EU-Durchschnitt sind es 55 Prozent. Unter den Akademikern beträgt der Anteil der digital Qualifizierten in Deutschland zwar 72,2 Prozent. Er liegt aber noch deutlicher unter dem EU-Durchschnitt von 79,6 Prozent als in den Gruppen der Menschen mit einer nur geringen oder mittleren formalen Bildung. Hoffen wir, dass die Deutschen ihr Qualifikationsprojekt schneller meistern als die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen im Earth Species Project. Es geht darum, bisher unbekannte Digital-Technologien zu erkennen, zu erkunden und dadurch zu verstehen. Auch wenn dahinter die wenig schmeichelhafte Erkenntnis stehen sollte, dass das Gejaule eines Hundes eigentlich das Gemaule eines Pubertisten ist: „Du hast mir gar nichts zu befehlen!“ Wir werden dank künstlicher Intelligenz noch so manchen Heureka-Moment erleben. – Vorausgesetzt, wir bereiten uns auf den verantwortungsvollen Umgang mit KI vor und nutzen diese Systeme nicht nur, um Emails für uns zu schreiben und bunte Bildchen zu produzieren. Es wird Zeit, verantwortungsvoll mit unserer Zukunft umzugehen.
von Heinz-Paul Bonn 04 März, 2024
In Dresden stellte sich Bundeskanzler Olaf Scholz am vergangenen Donnerstag den Fragen von Bürgern. In Sachsen ist das immer eine heikle Sache. Einer der Besucher steckte ihm einen Aufkleber zu, auf dem der Slogan „Diplomaten statt Granaten“ stand. Er solle ihn an die Grüne Außenministerin Annalena Baerbock übergeben, lautete die Forderung. Scholz konterte mit erhobener Faust, dies solle der Satz sein, „den wir gemeinsam skandieren Richtung Kreml nach Moskau." Einen Tag später stellte sich der Bundeskanzler anlässlich der Handwerksmesse im Münchener Spitzengespräch der Deutschen Wirtschaft den Vertretern von BDI, BDA, DIHK und ZDH, die ihm zuvor ein Zehn-Punkte-Papier hatten zukommen lassen, dessen Forderungen sich pointiert folgendermaßen zusammenfassen lassen: „Taten statt Bürokraten“. Auf das Papier ging der deutsche Regierungschef nicht weiter ein, erhob auch nicht die Faust und sagte auch nicht, dies solle der Satz sein, „den wir gemeinsam skandieren Richtung Brüssel und Berlin." Hätte er aber sagen können, denn genau so war das Papier gemeint. BDI-Präsident Siegfried Russwurm fasste die Fakten so zusammen: „In allen wesentlichen volkswirtschaftlichen Größen wird Deutschland nach hinten durchgereicht, ist am Tabellenende mindestens der Industrienationen. Damit darf es keine Zweifel mehr geben: Wir haben dringenden Handlungsbedarf, um die deutsche Wirtschaft im globalen Wettbewerb wieder nach vorne zu bringen." Dabei hält Siegfried Russwurm zumindest einen Hemmschuh, der als Punkt 3 in das Zehn-Punkte-Papier Eingang fand, für kurzfristig lösbar: „Einfacher werden – Entbürokratisierung“. Während Bundeskanzler Scholz hier auf das auf den Weg gebrachte Bürokratieentlastungsgesetz verwies, sehen die Wirtschaftsverbände genau hier noch Nachbesserungsbedarf. „Bestehende Lasten – gerade bei den Berichts- und Nachweispflichten – müssen im Wege von Praxis-Checks identifiziert und abgebaut werden, neue Bürokratie muss systematisch vermieden und die Verwaltungsmodernisierung und -digitalisierung vorangetrieben werden.“ Doch die bisher eingereichten Vorschläge der Wirtschaft seien nicht berücksichtigt worden. Stattdessen wird in Brüssel mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz gerade ein wahres Bürokratiemonster verhandelt, das gerade mittelständische Unternehmen zu immensen Mehrkosten durch zusätzlichen Verwaltungsaufwand zwingt. Und gleichzeitig harrt das Wachstumschancengesetz seiner Bestätigung durch den Bundesrat, wo es wegen der geforderten Rücknahme von Subventionskürzungen für die Landwirtschaft blockiert wird. „Aber selbst diesen Mini-Impuls kriegt Deutschland nicht hin. Das zeigt, dass die Bereitschaft, sich für Wirtschaft einzusetzen, insgesamt in der Regierung auf einem bedenklichen Niveau ist“, schimpfte DIHK-Präsident Peter Adrian beim Münchner Treffen. Da klingt es geradezu grotesk, wenn sich beispielsweise die nordrhein-westfälische Landesregierung letzte Woche medienwirksam rühmt, dass in der Düsseldorfer Staatskanzlei nun nur noch ein Faxgerät in Betrieb sei und dies als ein deutliches Zeichen der wachsenden Digitalisierung in den Behörden zu interpretieren wäre. Dabei hatte die Landesregierung um Ministerpräsident Hendrik Wüst in den letzten Tagen ganz andere Erfolge in Sachen Digitalisierung vorzuweisen. Die geplante Ansiedlung von zwei, wenn nicht drei Cloud-Rechenzentren durch Microsoft, die 3,2 Milliarden Euro ins Land spülen, ist genauso ein Impuls für die deutsche Wirtschaft, wie ihn der laut britischem Economist „kranke Mann Europas“ benötigt. Denn schon werden rund um die Hyperscaler große Digitalparks geplant, in denen alle diejenigen innovativen Unternehmen unterkommen sollen, die eine herausragende Cloud-Unterstützung mit kurzen Signalzeiten benötigen: Startups, Spinoffs, Dienstleister, die mittelständische Industrie und Handwerker. Doch dass dies überhaupt gelingen konnte, ist offensichtlich ein wahres Bürokratiewunder. Schon in diesem Jahr soll Baubeginn in Bedburg und Bergheim sein. Zweieinhalb Jahre lang haben kommunale Behörden, Landesentwicklungsgesellschaften und die zuständigen Landesministerien im Geheimen an dem Deal mit Microsoft gearbeitet. Nichts wurde durchgestochen, keine Bebauungsplanänderung blockiert, kein Planverfahren durch Behörden behindert. Es ist beruhigend, dass sowas in Deutschland noch geht. Jetzt wird man sehen, ob die Microsoft-Geschwindigkeit zur neuen Deutschland-Geschwindigkeit werden kann. Noch ist kein Spatenstich getan, noch ist die begleitende Qualifizierungsinitiative nicht angelaufen. Es kann noch viel schiefgehen in einem Land, in dem mehr Bürokraten statt Taten zu finden sind.
von Heinz-Paul Bonn 26 Feb., 2024
Der Erfolg hat bekanntlich viele Väter – der Misserfolg ist dagegen eine Vollwaise. In Bedburg und Bergheim am Rande des rheinischen Braunkohletagebaus toben seit einigen Tagen heftige Debatten über die Frage, wer nun eigentlich der oder die Hauptverantwortliche für die Entscheidung von Microsoft sein könnte, dort gigantische Cloud-Rechenzentren zu errichten. Auch die benachbarte Stadt Grevenbroich rechnet sich noch Chancen aus, den Zuschlag für einen dritten Standort zu erhalten. Und überall schlagen sich jetzt Bürgermeister, Stadträte und Wirtschaftsentwickler auf die Schulter. Es ist, als machten sich nun alle Beteiligten Luft, die in der zweieinhalbjährigen Planungsphase, die dem Announcement vorausgegangen war, Stillschweigen üben mussten. Es muss wohl vielen schwer gefallen sein. Selbst Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) konnte der Versuchung nicht widerstehen, den Erfolg jetzt bei der Vorlage seiner Halbzeitbilanz der schwarzgrünen Landesregierung in Düsseldorf auf das eigene Konto zu buchen. Auch Vize Mona Neubaur von den Grünen, die im Braunkohlerevier eher wenig Freunde hat, weil der Ausstieg aus dem Tagebau bis 2030 von vielen Anrainern gar nicht begrüßt wird, ist jetzt stolz auf das Erreichte. Wie gesagt: der Erfolg hat viele Väter – und (auch wenn das Bild hier aus biologischer Perspektive ein wenig überdehnt werden muss) Mütter. Dabei hatte Microsoft objektiv betrachtet gar nicht so viele Alternativen bei der Standortwahl. Die sogenannten Hyperscaler – also Großrechenzentren, die den Computing-Bedarf von vielen Tausend KI-Anwendern bedienen – sollten sich möglichst in der räumlichen Umgebung der größten Bedarfsträger befinden, um die Latenzzeiten so kurz wie möglich zu halten. Wer also die DAX-Mitglieder Bayer, Eon, Henkel, Telekom und DHL bedienen will, muss sich im Westen engagieren. Denn nicht nur stammt jedes vierte DAX-Unternehmen aus NRW, auch knapp ein Viertel der gesamten deutschen Wertschöpfung kommt aus dem bevölkerungsreichsten Bundesland. Das liegt auch an der hohen Zahl an mittelständischen Betrieben, die sich an Rhein, Ruhr und Lippe angesiedelt haben. Microsoft muss im besten Sinne des Wortes „Kirchturmpolitik“ betreiben. Doch schon gibt es Gehässigkeiten. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), in dessen Landeshauptstadt Microsoft seinen Deutschland-Sitz unterhält, reagierte prompt mit einer eigenen KI-Alternative: Die Technische Universität Nürnberg soll zur KI-Uni weiterentwickelt werden. Gleichzeitig soll hier ein, wie es der Ministerpräsident nennt, „Bayern- oder Franken-ChatGPT entstehen“, mit dem der Freistaat künftig unabhängig von US-amerikanischer Technologie werden soll. "Was in China läuft, kann bei uns nicht verkehrt sein", sagte Söder, der damit allerdings nicht die KI-Initiative kommentierte, sondern den neuerlichen Anlauf, eine Magnetschwebebahn zu installieren. Tatsächlich tun sich die Bundesländer schwer, auf eine einheitliche Technologie zu setzen – egal, in wessen Abhängigkeit man sich damit begeben würde. Schon der Versuch, eine bundesweit einheitliche Software-Architektur für die Finanzämter und angeschlossenen Institute zu entwickeln, krachte zur Jahrtausendwende mit einem Milliardendefizit. Und auch die aktuellen Digitalisierungspläne der Bundesregierung stoßen nicht nur auf den Widerstand der Behörden, sondern auf die Eigenbrötelei der Landesregierungen. Nicht einmal bei Commodities wie einer Bürosoftware können sich die 16 Bundesländer einigen. Geschweige denn auf einen gemeinsamen KI-Standard. Jetzt scheint es so, dass zwischen Wüst und Söder nicht nur die K-Frage steht, sondern auch die KI-Frage… Unser föderales System erzeugt nicht nur Vielfalt, sondern eben auch Wildwuchs. Nirgends kann man das besser beobachten als in der Bildungspolitik. Und dort lässt sich auch deutlich aufzeigen, wie sehr der föderale Staat sich selbst ausbremst. Es ist, als betreibe jeder seine eigene Kirchturmpolitik – koste es, was es wolle. Dass das vor allem die ohnehin gebeutelte Wirtschaft trifft, scheint dabei völlig nebensächlich zu sein. Der Ruf nach mehr Verlässlichkeit richtet sich ja nicht nur an die Bundesregierung, sondern auch an die Landesregierungen. 18 Wirtschaftsverbände haben in einem Brief an die Ministerpräsidenten eindringlich gefordert, das Wachstumschancengesetz so schnell wie möglich zu verabschieden. "Es steht nichts weniger auf dem Spiel als die Rettung des deutschen Mittelstands, der 99 Prozent aller Unternehmen und damit das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bildet", heißt es in dem Schreiben im Vorfeld der Bundesratsdebatte. Wie man weiß, verhallte dieser Ruf ungehört. Es ist ein Appell, Kirchturmpolitik, Eigenbrötelei und Besserwisserei endlich abzuschwören: "Diese politische Haltung wird den derzeitigen strukturellen Problemen unseres Standorts nicht gerecht“, schreiben die Autoren des Brandbriefes. „Weder parteitaktische Spielchen noch Streitereien innerhalb der Ampel-Bundesregierung dürfen dieses so wichtige Signal jetzt verschleppen." Es ist, als müsste erst ein US-Unternehmen kommen und uns mit Milliardeninvestitionen Nachhilfe darüber erteilen, wie erfolgreiche Kirchturmpolitik aussieht. Dann kann der Erfolg auch das Kind einer Patchwork-Familie sein.
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