von Heinz-Paul Bonn
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26 Feb., 2024
Der Erfolg hat bekanntlich viele Väter – der Misserfolg ist dagegen eine Vollwaise. In Bedburg und Bergheim am Rande des rheinischen Braunkohletagebaus toben seit einigen Tagen heftige Debatten über die Frage, wer nun eigentlich der oder die Hauptverantwortliche für die Entscheidung von Microsoft sein könnte, dort gigantische Cloud-Rechenzentren zu errichten. Auch die benachbarte Stadt Grevenbroich rechnet sich noch Chancen aus, den Zuschlag für einen dritten Standort zu erhalten. Und überall schlagen sich jetzt Bürgermeister, Stadträte und Wirtschaftsentwickler auf die Schulter. Es ist, als machten sich nun alle Beteiligten Luft, die in der zweieinhalbjährigen Planungsphase, die dem Announcement vorausgegangen war, Stillschweigen üben mussten. Es muss wohl vielen schwer gefallen sein. Selbst Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) konnte der Versuchung nicht widerstehen, den Erfolg jetzt bei der Vorlage seiner Halbzeitbilanz der schwarzgrünen Landesregierung in Düsseldorf auf das eigene Konto zu buchen. Auch Vize Mona Neubaur von den Grünen, die im Braunkohlerevier eher wenig Freunde hat, weil der Ausstieg aus dem Tagebau bis 2030 von vielen Anrainern gar nicht begrüßt wird, ist jetzt stolz auf das Erreichte. Wie gesagt: der Erfolg hat viele Väter – und (auch wenn das Bild hier aus biologischer Perspektive ein wenig überdehnt werden muss) Mütter. Dabei hatte Microsoft objektiv betrachtet gar nicht so viele Alternativen bei der Standortwahl. Die sogenannten Hyperscaler – also Großrechenzentren, die den Computing-Bedarf von vielen Tausend KI-Anwendern bedienen – sollten sich möglichst in der räumlichen Umgebung der größten Bedarfsträger befinden, um die Latenzzeiten so kurz wie möglich zu halten. Wer also die DAX-Mitglieder Bayer, Eon, Henkel, Telekom und DHL bedienen will, muss sich im Westen engagieren. Denn nicht nur stammt jedes vierte DAX-Unternehmen aus NRW, auch knapp ein Viertel der gesamten deutschen Wertschöpfung kommt aus dem bevölkerungsreichsten Bundesland. Das liegt auch an der hohen Zahl an mittelständischen Betrieben, die sich an Rhein, Ruhr und Lippe angesiedelt haben. Microsoft muss im besten Sinne des Wortes „Kirchturmpolitik“ betreiben. Doch schon gibt es Gehässigkeiten. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), in dessen Landeshauptstadt Microsoft seinen Deutschland-Sitz unterhält, reagierte prompt mit einer eigenen KI-Alternative: Die Technische Universität Nürnberg soll zur KI-Uni weiterentwickelt werden. Gleichzeitig soll hier ein, wie es der Ministerpräsident nennt, „Bayern- oder Franken-ChatGPT entstehen“, mit dem der Freistaat künftig unabhängig von US-amerikanischer Technologie werden soll. "Was in China läuft, kann bei uns nicht verkehrt sein", sagte Söder, der damit allerdings nicht die KI-Initiative kommentierte, sondern den neuerlichen Anlauf, eine Magnetschwebebahn zu installieren. Tatsächlich tun sich die Bundesländer schwer, auf eine einheitliche Technologie zu setzen – egal, in wessen Abhängigkeit man sich damit begeben würde. Schon der Versuch, eine bundesweit einheitliche Software-Architektur für die Finanzämter und angeschlossenen Institute zu entwickeln, krachte zur Jahrtausendwende mit einem Milliardendefizit. Und auch die aktuellen Digitalisierungspläne der Bundesregierung stoßen nicht nur auf den Widerstand der Behörden, sondern auf die Eigenbrötelei der Landesregierungen. Nicht einmal bei Commodities wie einer Bürosoftware können sich die 16 Bundesländer einigen. Geschweige denn auf einen gemeinsamen KI-Standard. Jetzt scheint es so, dass zwischen Wüst und Söder nicht nur die K-Frage steht, sondern auch die KI-Frage… Unser föderales System erzeugt nicht nur Vielfalt, sondern eben auch Wildwuchs. Nirgends kann man das besser beobachten als in der Bildungspolitik. Und dort lässt sich auch deutlich aufzeigen, wie sehr der föderale Staat sich selbst ausbremst. Es ist, als betreibe jeder seine eigene Kirchturmpolitik – koste es, was es wolle. Dass das vor allem die ohnehin gebeutelte Wirtschaft trifft, scheint dabei völlig nebensächlich zu sein. Der Ruf nach mehr Verlässlichkeit richtet sich ja nicht nur an die Bundesregierung, sondern auch an die Landesregierungen. 18 Wirtschaftsverbände haben in einem Brief an die Ministerpräsidenten eindringlich gefordert, das Wachstumschancengesetz so schnell wie möglich zu verabschieden. "Es steht nichts weniger auf dem Spiel als die Rettung des deutschen Mittelstands, der 99 Prozent aller Unternehmen und damit das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bildet", heißt es in dem Schreiben im Vorfeld der Bundesratsdebatte. Wie man weiß, verhallte dieser Ruf ungehört. Es ist ein Appell, Kirchturmpolitik, Eigenbrötelei und Besserwisserei endlich abzuschwören: "Diese politische Haltung wird den derzeitigen strukturellen Problemen unseres Standorts nicht gerecht“, schreiben die Autoren des Brandbriefes. „Weder parteitaktische Spielchen noch Streitereien innerhalb der Ampel-Bundesregierung dürfen dieses so wichtige Signal jetzt verschleppen." Es ist, als müsste erst ein US-Unternehmen kommen und uns mit Milliardeninvestitionen Nachhilfe darüber erteilen, wie erfolgreiche Kirchturmpolitik aussieht. Dann kann der Erfolg auch das Kind einer Patchwork-Familie sein.