Krise? Welche Krise?
Der eine benötigte vier Wahlgänge und sprach vom Frieden. Der andere brauchte zwei Wahlgänge und sprach davon, alles zu tun, um den Krieg in der Ukraine zu beenden. Die Wahl von Papst Leo XIV dauerte zwei Tage, was für ein Konklave ungewöhnlich schnell ist. Die Wahl von Bundeskanzler Friedrich Merz zog sich einen Tag hin – und die Welt spricht von einer Staatskrise.
Krise? Welche Krise? Der Staat, in dem wir leben, hat ganz andere Krisen zu meistern, als die verpatzte Kanzlerwahl und dem damit unterstellten möglichen Reputationsverlust. Da ist eine massive Innovationskrise, die dazu führte, dass unser Land in den Weltranglisten ins Mittelmaß durchgereicht wurde. Da ist eine immer offenkundiger werdende Infrastrukturkrise, die unsere Wirtschaft und jeden Einzelnen tagtäglich behindert. Wir befinden uns inmitten einer Klima- und Energiekrise, in der für viele Betriebe wirtschaftliches Handeln kaum noch denkbar ist. Und wir befinden uns in einer Gestaltungskrise, die aus überbordender Bürokratie und ineffizienter Verwaltung erwächst. Das sind Staatskrisen!
Doch die neue Bundesregierung war noch nicht vereidigt, da ging das Wort von der Staatskrise schon um, nachdem ein paar Abweichler – mutmaßlich aus Frustration darüber, bei der Ämtervergabe übergangen worden zu sein – im ersten Wahlgang dem Kandidaten ihre Zustimmung verweigerten. Wie stark unsere Demokratie und unser Grundgesetz sind, hat dann aber vielmehr die nachfolgende Änderung der Geschäftsordnung des Bundestags gezeigt, die durch die Unterstützung der Grünen und Linken möglich wurde. Danach kam alles wie geplant – nur um Stunden verspätet.
Jetzt ist ein neuer Mann im Kanzleramt, der zwar über keine Erfahrung in der Führung eines politischen Amtes verfügt, dem man aber doch nachsagen darf, dass er Steherqualitäten hat und auch nach Niederlagen wieder aufsteht. Tatsächlich ist das eine Haltung, die uns weiterhelfen könnte. Die ersten hundert Stunden machten Mut. Beurteilt werden sollte er frühestens nach hundert Tagen.
Und dann ist da dieser neue Papst, in Chicago geboren, dessen Wahl nun so wirkt, als sei das Konklave vor dem US-amerikanischen Präsidenten eingeknickt. Doch wer nun unter wem regieren wird, wird sich noch herausstellen – auch dazu braucht es eine Stillhaltepflicht. Eines aber ist sicher: der Augustiner Robert Francis Prevost hat schon jetzt Richtungspfeiler gesetzt: Mit dem Namen Leo stellt er sich in die Nachfolge von Leo XIII, dessen Sozialenzyklika die Hinwendung der katholischen Kirche aus der Isolation in die (sozial)politische Verantwortung nach der ersten industriellen Revolution eingeleitet hat. Leo XIV sieht sich in einer ähnlichen Situation: die industrielle Revolution durch künstliche Intelligenz, so sagte er, stelle eine neue Herausforderung für die soziale Frage – und die stehe ganz oben auf seiner Agenda.
Aber auch er steht einem Staat vor, der von Krisen geschüttelt ist: Der zaghafte Reformkurs seines Vorgängers hat die Zerrissenheit zwischen Konservativen und Liberalen nur verstärkt – der Wunsch zur Umkehr hat das Konklave anfangs beeinflusst und damit andere Kandidaten favorisiert. Doch eine alte Weisheit im Vatikanstaat lautet: „Wer als Papst in das Konklave hineingeht, kommt als Kardinal wieder heraus.“ Robert Francis Prevost ist den umgekehrten Weg gegangen. Dabei dürfte ihm sein bisheriges Amt, das ihm die Personalverantwortung im Vatikan übertrug, geholfen haben, um als Brückenbauer zu wirken. Eine Eigenschaft, die der neue Bundeskanzler allerdings noch erwerben muss – vor allem in der Krise.









