Es wurmt!
Die Aussichten sind bescheiden – das kann auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck nicht schönreden. Wir müssen zufrieden sein, wenn die wirtschaftliche Entwicklung im laufenden Jahr stagniert und die Wirtschaftsleistung nicht weiter zurückgeht. „Negatives Wachstum“ nennt man das gerne euphemistisch, weil Schrumpfen einfach nicht ins Vokabular von Politikern zu gehören scheint. Auch wenn der Bundeswirtschaftsminister letzte Woche für das kommende Jahr leichte Verbesserungen prognostiziert – langfristig bleiben die Aussichten trist.
Das Wachstumspotenzial wird für die kommenden Jahre auf gerade einmal 0,6 Prozent geschätzt. Deutschland steckt in einer veritablen Krise. „Die Situation ist so anspruchsvoll, dass wir uns nicht zurücklehnen dürfen, sondern weiter hart arbeiten müssen“, sagt Habeck bei seinem Auftritt vor der Bundespressekonferenz. Und dann folgt ein Satz, der aufhorchen lässt: „Darauf haben, denke ich, Herr Russwurm und die deutsche Wirtschaft hingewiesen, und das sieht niemand in der Regierung anders.“
Wirklich? Gehört der deutsche Bundeskanzler etwa nicht zur Regierung – steht er über ihr, aber nicht in ihr? Es wurmt ganz einfach, wenn ernstgemeinte und staatstragende Reformvorschläge aus der Wirtschaft abgetan werden als Klage, die das Lied des Kaufmanns sei. Mit dieser – bei allem Respekt, Herr Bundeskanzler – Plattitüde kann man nun wirklich keine Wirtschaftspolitik betreiben, wie sie uns beispielsweise die Biden-Regierung mit dem Wirtschaftsförderungsprogramm IRA vormacht. Der amerikanische Kaufmann klagt nicht, weil seine Regierung handelt.
Die Klage vom ewig klagenden Kaufmann sitzt tief, sie wurmt! Erstmals öffentlich vorgebracht hatte sie der Kanzler auf der Handwerksmesse in München Anfang des Jahres. Dort hatten die führenden Wirtschaftsverbände ein Zehn-Punkte-Papier vorgelegt, um von Bürokratieabbau bis Fachkräftemangel alle Themen zu diskutieren, die der deutschen Wirtschaft unter den Fingernägeln brennt. Doch dazu kam es nicht: Der Kanzler stimmte sein geflügeltes Wort vom klagenden Kaufmann an und ging weiter.
Außer Spesen nichts gewesen. Dem Handelsblatt offenbarten jetzt zahlreiche Konzernchefs aus dem DAX, dass Wirtschaftstreffen mit dem Bundeskanzler meist ergebnislos enden und argumentativ im Sande verlaufen. „Die Erwartung ist gering, dass sich wirklich was bewegt“, wird ein DAX-Vorstandschef anonym zitiert. Wie das aussieht, lässt sich praktisch minutiös nachverfolgen. In einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung fasste BDI-Präsident Russwurm die Halbzeitbilanz der Ampel mit den Worten zusammen, es seien „zwei verlorene Jahre“ gewesen. Der Kanzler konterte postwendend, es handele sich bei der Politik unter seiner Führung um längst eingeleitete Reformen. Der Beweis: mit der Abschaffung der EEG-Umlage habe er für Entlastungen in Höhe von 20 Milliarden Euro gesorgt. Wo, bitteschön, bleibe da der Dank?
Zugegeben: das hat zahllosen vor allem mittelständischen Unternehmen Luft verschafft – angesichts explodierende Strom- und Gaskosten. Aber damit verbindet sich keine strukturelle Reform, keine Verbesserung der Infrastruktur, keine Senkung des Bürokratieaufwands, keine Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, keine Verbesserung der Wettbewerbssituation. Doch wer darauf hinweist, macht sich des Vorwurfs schuldig, den Standort Deutschland schlecht zu reden. „Wenn Sie mich fragen, lieber Herr Russwurm, dann waren das zwei Turnaround-Jahre“, wiederholt der Bundeskanzler sein Selbstlob zum Auftakt der Hannover Messe Industrie. Sodann kanzelte der Kanzler den BDI-Präsident öffentlich ab: „Kleine Bitte, lassen Sie uns den Wirtschaftsstandort Deutschland stark machen und nicht schlechtreden.“
Wer den Wirtschaftsstandort Deutschland stark macht, zeigten daraufhin Austeller aus Deutschland in den Messehallen und auf dem Freigelände. Bei seinem Messe-Rundgang holte den Kanzler seine Klage über die Kaufmannsklage wieder ein: „Das Lied der Industrie sind Lösungen“ hieß es vieldeutig beim hessischen Mettalunternehmen Rittal. Und genau darum geht es: Wir brauchen Lösungen und keine Rechthaberei. Doch „die Wirtschaft dringt mit ihren Sorgen und Rufen in der Bundesregierung nicht mehr durch“, resümierte BASF-Chef Martin Brudermüller in einem Handelsblatt-Interview.
Es wurmt! Und man könnte sich den Mund abputzen und zur Tagesordnung zurückkehren. Doch die Herausforderungen, vor denen die deutsche Wirtschaft steht, sind Teil dieser Tagesordnung, vor der niemand weglaufen kann. Während sich die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel noch auf steigenden Wirtschaftszahlen ausruhen konnte – auch weil die Wirtschaft von billigem russischem Gas und einer prosperierenden Wirtschaftsmacht China profitierte – und das „Aussitzen“ weitgehend folgenlos blieb, kann sich die aktuelle Bundesregierung auf vergleichbaren positiven Effekten nicht ausruhen. Wer da mahnt, redet nicht den Standort schlecht, sondern ruft zur Besserung auf. Wer sich dagegen taub stellt, lässt zumindest zu, dass es dem Standort nicht besser geht. Das wurmt in der Tat.









