Wir sollen mehr Vertrauen in die Kräfte Deutschlands haben, forderte uns Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Neujahrsansprache auf. Nun, das Vertrauen in die Kräfte der Bundesregierung jedenfalls ist weiter im Schwinden. Zum Jahreswechsel erreichen die die Ampel tragenden Parteien historische Tiefststände: Laut einer neuen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa würde die SPD bei sofortigen Neuwahlen nur noch 15 Prozent erreichen. Die Grünen erreichen nur noch zwölf Prozent, die FDP müsste mit fünf Prozent um den Wiedereinzug in den Bundestag bangen. Die Christ-Union kommt demnach auf 32 Prozent, obwohl den Umfragen zufolge kaum jemand Friedrich Merz als Kanzler will. Die AfD ist im Aufwind, obwohl auch hier ihr Personal überwiegend negativ beurteilt wird.
Das Vertrauen in die politischen Kräfte Deutschlands jedenfalls könnte kaum geringer ausfallen. Aber wie sieht es mit dem Vertrauen in die Einsatzkräfte Deutschlands aus? Polizei, Feuerwehr, Notärzte und Sanitäter klagen über die massiv gestiegenen verbalen und physischen Angriffe auf Einsatzkräfte, die gerade in der Silvesternacht wieder einmal zu einem Großaufgebot zusammengerufen wurden, um eine Wiederholung der chaotischen Vorfälle wie zum Jahreswechsel 22/23 zu verhindern. Soll man sich über den Großmut eines Autofahrers freuen, der einem Notarzt sein Fahrrad vom Dachständer holt, weil der sonst nicht durch die verstopfte Rettungsgasse zum Einsatzort gekommen wäre. Muss man nicht über Katastrophentouristen verzweifeln, die Zufahrten zu Hochwassergebieten versperren, nur um bessere Videoaufnahmen von den Notleidenden zu erhalten?
Sollten wir aber nicht auch den Kopf schütteln über Großinvestoren, die mit Kaufhausimperien jonglieren und das Schicksal von Tausenden Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen wie bei Monopoly durch den Fall der Würfel in den diversen anstehenden Insolvenzverfahren bestimmen lassen? Muss es uns nicht verwundern, dass auf jede positive Umfrage zum Wirtschaftsklima postwendend eine Studie mit negativen Prognosen folgt? Während der ifo-Geschäftsklimaindex sich in den Monaten Oktober und November erfreulich positiv zeigte, brach er im Dezember wieder auf das September-Niveau ein. Und die Ökonomen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) rechnen gar mit einem weiteren Rezessionsjahr 2024, während der Aktienindex DAX, in dem sich Erwartungen an die Zukunft niederschlagen, auf einem All-time-High ins neue Jahr geht.
Müssten wir nicht eigentlich einen neuen Generationenpakt schreiben, der mehr vorsieht als die Verpflichtung der Jungen, in die Rentenversicherung einzuzahlen, damit das alte Blüm-Wort von den sicheren Renten bestehen bleiben kann? Sollten wir nicht vielmehr einen Bildungspakt formulieren, der allen unseren Kindern die Ausbildung und die Qualifikation ermöglicht, die sie und der deutsche Wissenschaftsstandort in Zukunft benötigen? Sollten wir der nachfolgenden Generation nicht doch eine intakte Infrastruktur hinterlassen statt maroder Schienen, Brücken, Deiche, Schulen und Universitäten? Und sollten wir wirklich weiter blind einer „schwarzen Null“ nachlaufen und dadurch unseren Nachfahren beides hinterlassen: Schulden und Schäden.
Und sollten wir nicht alle den Mut aufbringen, unser Sozialsystem in einer konzertierten Aktion so zu modernisieren, dass es statt als Hängematte für Leistungsverweigerer missbraucht zu werden, wieder als Sicherungssystem vor einem drohenden sozialen Absturz fungiert, das jedem Willigen und Mutigem eine zweite und dritte Chance eröffnet? Stattdessen streiken Stahlarbeiter und Lokführer für die Vier-Tage-Woche, während in China Software-Entwickler im Drei-Schicht-Betrieb an Künstlicher Intelligenz arbeiten. Ärzte schließen mutwillig aus Protest gegen die aktuelle Gesundheitspolitik ihre Praxen, während gleichzeitig in einer der reichsten Volkswirtschaften der Welt Krankenhäuser Konkurs anmelden müssen.
In der Tat: Wir sollten mehr Vertrauen in die Kräfte Deutschlands haben. Wir sind noch zu retten, wenn wir selbst wieder lernen, mit Respekt die abweichende Meinung anderer anzuhören. Wir sind noch zu retten, wenn wir wieder lernen, Realität von Fake News zu unterscheiden, und aufhören, uns vorwiegend an schlechten Nachrichten zu orientieren und deshalb nur noch halbleere Gläser sehen. Wir sollten wieder lernen, die Ärmel aufzukrempeln und zuzupacken, statt bei jeder Gelegenheit nach dem Staat zu rufen, der gleichzeitig aber auch genauso vehement abgelehnt wird. Wenn uns das 2024 auf allen Ebenen gelingt – egal, ob im Privaten, in der Wirtschaft, in der Politik, in der Gesellschaft, dann sind wir noch zu retten. Ich wünsche Ihnen und uns nicht mehr und nicht weniger.
Liebe treue Blogleser/innen,
ich wünsche Ihnen darüber hinaus nach dem vollzogenen Jahreswechsel noch ein paar Momente des zufriedenen Nachdenkens über Vergangenes und viel Optimismus für das Morgen.
Möge das Jahr 2024 für Sie, für Ihre Lieben und für uns alle trotz aller Widrigkeiten ein Jahr des Friedens, des Erfolgs und der Freude werden.