Gut ein Jahr, nachdem das kalifornische Startup OpenAI mit der Veröffentlichung von ChatGPT die KI-Revolution losgetreten hatte, verabschiedeten das Europäische Parlament, der Rat und die Kommission mit dem AI Act ein erstes Gesetz, das Leitplanken für die Nutzung von künstlicher Intelligenz liefern soll. In diesen zwölf Monaten haben allerdings die Tech-Giganten aus den USA und China längst Fakten geschaffen und die Nutzer KI im täglichen Einsatz kennen und lieben gelernt. Unabhängig von der Qualität und Praktikabilität des AI Acts kann man jetzt schon feststellen, dass die Regulierer hinter der technischen Entwicklung in Rollator-Geschwindigkeit hinterherstapfen.
Das mag viele Gründe haben: einerseits ist der parlamentarische Prozess in einer Demokratie äußerst schleppend und – anders als in einer Autokratie – stets von Kompromissen geprägt. Zweitens hat aber auch die technische Entwicklung im KI-Zeitalter den Turbo eingelegt und Fakten schneller geschaffen, als zu ihrer Verdauung ratsam wäre. Die Regulierer wurden davon überrollt und sind im Ergebnis weit davon entfernt, Herr der Lage zu sein. Microsoft-Präsident Brad Smith hatte schon vor einem Jahr beobachtet, dass wir neue politische und gesetzgebende Prozesse brauchen, wenn die Legislative mit dem technischen Fortschritt Schritt halten soll. Wie das freilich aussehen könnte, ohne in eine Autokratie oder Diktatur abzudriften, hat er damals auch nicht verraten.
Dabei sind die Europäer noch die ersten, die erfolgreich eine Gesetzesinitiative abgeschlossen haben, mit der sozusagen geregelt werden soll, wie sich künstliche Intelligenz an den Grundrechten der Menschheit orientieren soll. Und schon geht das Kritteln am Gesetzesvorhaben los: Bürgerrechtler vermissen, dass die europäischen Gremien auch biometrische Verfahren berücksichtigt haben, Wirtschaftsvertreter befürchten, dass europäische KI-Initiativen verlangsamt werden. Vor allem bei der generativen KI, also zum Beispiel Sprachassistenten, die menschliche Inhalte auf der Basis von stochastischen Verfahren erzeugen, seien die Regularien viel zu restriktiv.
Und was die Praktikabilität anbetrifft, darf bezweifelt werden, dass der Gesetzestext überhaupt in absehbarer Zeit bei den Startups und KI-Pionieren ankommt. Denn nicht nur muss der AI Act von allen Ländern ratifiziert und in nationales Recht umgesetzt werden, es gibt dann auch noch Fristen für die Einhaltung der Bestimmungen. Bis dahin ist aus ChatGPT-4 längst ChatGPT-X geworden. Bis dahin hat auch die deutsche KI-Hoffnung Aleph Alpha mit seinen Sponsoren aus der Wirtschaft ein völlig neues KI-System aufgebaut.
Doch die Regulatoren mit Rollator behindern auch in einer ganz anderen Ecke, den technischen und wirtschaftlichen Fortschritt. Ein Beispiel ist das über Jahre sich hinziehende Übernahmeverfahren, mit dem sich Microsoft den Spielehersteller Activision Blizzard einverleiben wollte und immer noch will. Nicht nur haben die Wettbewerbshüter in den USA, im Vereinigten Königreich und in der Europäischen Union den Multi-Milliarden-Deal über Monate hinweg ausgebremst, sie haben auch jetzt immer noch die Befürchtung, dass mit dem Deal eine marktbeherrschende Machtkonzentration herbeigeführt wird. Dabei sind die Auflagen, unter denen Microsoft die Übernahme schließlich gewährt wurde, dazu angetan, genau diese Machtkonzentration einzugrenzen. Wie soll man langfristig planen, wenn die politischen Gremien wie bei der Echternacher Springprozession einem ewigen Vor und Zurück folgen.
Es ist wahrscheinlich die größte Herausforderung, die die Politik in den nächsten Monaten zu meistern hat: sie muss in allen von Technologie beeinflussten Bereichen schneller und gradliniger entscheiden. Das gilt bei der Energiewende genauso wie bei der KI-Revolution. Auch die Politik braucht Shengzen– Geschwindigkeit und nicht Regulatoren mit Rollator.
Von Herzen wünsche ich uns allen umso mehr Momente des Nachdenkens über Vergangenes und viel Optimismus für das Morgen. Möge das Jahr 2024 für uns alle ein Jahr des Friedens, des Erfolgs und der sinnvollen Veränderung werden.