Generationenpakt Infrastruktur
Gestern waren es noch 60 Milliarden Euro, die im Bundeshaushalt fehlten. Heute sind es schon 600 Milliarden Euro, die für die Erneuerung der deutschen Infrastruktur in den kommenden zehn Jahren benötigt werden. Diesen Investitionsbedarf errechneten die Ökonomen des arbeitnehmernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) und des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). Die Studie kann also nicht leicht als interessensgetrieben in die eine oder andere Ecke abgeschoben werden. Die Schätzungen, die übrigens pro Jahr gerade einmal 1,4 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts ausmachen, gelten noch als konservativ, betont IW-Chef Michael Hüther.
Denn dabei sind die Aufwendungen für die Verteidigungs-Infrastruktur – also Militärgerät, Bundeswehrpersonal, Cyberabwehr und Logistik – noch gar nicht eingepreist. Und auch damit nicht genug: Mehren sich Klimakatastrophen wie jetzt im Saarland, zuvor in Baden-Württemberg und zu Weihnachten in Niedersachsen, könnte sich der Investitionsbedarf in Deutschland für die Beseitigung der Schäden und für Katastrophenvorsorge noch einmal verzehnfachen, besagen Sachverständige in anderen Studien.
Wir brauchen einen Generationenpakt für die Infrastruktur, die einerseits auf den Erhalt und den Ausbau der bestehenden Netze abzielt, andererseits aber auch den Umbau von Infrastrukturen für mehr Energieeffizienz, Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit mit einbezieht. Denn jeder Euro, der jetzt nicht in die Ausbesserung maroder Straßen und Schienen, in den Ausbau von Strom- und Datennetzen und in den Aufbau von Qualifikationen für die Zukunft in unserem Bildungswesen investiert wird, repräsentiert zehn Euro Schulden, die wir an die nachkommenden Generationen weitergeben.
Doch „wer soll das bezahlen, wer hat so viel Geld?“ Für den Staatshaushalt gibt es drei Denkschulen, die sich gegenseitig blockieren:
- Die einen fordern einen Umbau des Sozialstaats und damit weniger Umverteilung, sodass allein aus diesen Einsparungen das benötigte Finanzvolumen gewonnen werden kann. Damit würde die Aufgabe zur Lösung sozialer Konflikte an die kommenden Generationen vererbt.
- Die anderen verlangen eine Abschaffung oder zumindest Aussetzung der Schuldenbremse, sodass die benötigten Gelder auf dem Kapitalmarkt aufgenommen werden können. Damit würden Infrastrukturschulden in Finanzschulden für die kommende Generation umgewandelt.
- Die dritten wiederum wollen Reformen in beiden Bereichen: Bürgergeld unter strengeren Auflagen und eine Reform der Schuldenbremse beispielsweise in Form von Sondervermögen, die am Bundeshaushalt vorbei für Innovationen, Infrastruktur, Energiewende, Wohnungsbau Qualifikation und Verteidigungsfähigkeit gewidmet werden.
Doch der Staat hat sich nur in seltenen Glücksfällen – wie derzeit zum Beispiel im Baltikum – als marktorientierter, bedarfsgerechter und vor allem zügig agierender Investor erwiesen. Es geht nicht darum, dass das Bundesbauministerium Wohnungen baut, das Bundesverteidigungsministerium Raketenwerfer produziert oder das Bundesdigitalministerium IT-Netze auswirft. Die Aufgabe des Bundes besteht darin, die Wirtschaft zu ertüchtigen, die Investitionen zu tätigen. Dazu muss sie Rahmenbedingungen setzen.
Dass das besser funktioniert als in den meisten Kritiken am im Weltwirtschaftsverglich nach hinten durchgereichten Wirtschaftsstandort Deutschland angemutet wird, zeigen Zahlen aus dem vergangenen Jahr. Immerhin auf 34,8 Milliarden Euro summierten sich die Zusagen für Neuansiedlungen und Erweiterungen ausländischer Unternehmen in Deutschland: darunter von Tesla, Intel, dem Batteriebauer CATL, dem Chiphersteller TSMC oder dem Pharma-Konzern Eli Lilly. Obendrauf kommen die deftigen Zusagen aus dem ersten Halbjahr dieses Jahres, mit denen die Tech-Giganten neue Hyperscaler für den Cloud- und KI-Ausbau hierzulande sorgen wollen: 3,2 Milliarden Euro von Microsoft im Rheinischen Revier, 7,8 Milliarden Euro von Amazon Web Services in Brandenburg, eine noch nicht genannte Summe von Google für ein Cloud-Rechenzentrum in Berlin-Brandenburg und schließlich wiederum Microsoft mit vier Milliarden Euro im Elsass, wovon auch die Bundesländer Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz profitieren werden.
Natürlich sind die Ansiedlungen von Tesla, Intel und anderen durch Milliardensubventionen der Bundesregierung stimuliert worden. Andere – wie Microsoft, Google oder AWS – erwarten eher infrastrukturelle Leistungen, die der Staat ohnehin leisten müsste. Das gilt für den Ausbau des Stromnetzes, die Deckung des künftigen Energiebedarfs oder die weiter verbesserte Ausbildung sowohl in Schule und Studium als auch parallel zum Beruf. Die Fachkräftelücke, so sagt es eine Studie der Industrie- und Handelskammern – kostet deutsche Unternehmen im laufenden Jahr knapp 50 Milliarden Euro. Die ebenfalls vom Institut der deutschen Wirtschaft vorgelegte Studie warnt, dass dieses weggeschenkte Produktivitätspotenzial in drei Jahren schon bei 74 Milliarden Euro liegen könnte.
Deshalb sollte der Staat mehr Industriepolitik wagen und dabei eine bessere Mittelstandspolitik nicht aus den Augen verlieren. Wir schulden es nicht nur unserer Gegenwart im Wettlauf um die Zukunft. Wir schulden diesen Generationenpakt Infrastruktur vor allem unseren Kindern und deren Kindern. Lasst uns den Wiederaufbau wagen. Dazu braucht es einen Ruck, der durch Deutschlands Amtsstuben gehen muss, sagt Michael Hüther: „Wir brauchen jetzt Mut, um uns vom Stückwerk zu verabschieden und das Land zukunftsfähig zu machen.“









