Ein DAX-Unternehmen nach dem anderen reagiert mit seiner Personalpolitik auf die Herausforderungen und Chancen, die uns mit der künstlichen Intelligenz gegeben werden. Gestern noch war es der Bayer-Konzern, der mit der Entlassung von vornehmlich Mitarbeitern aus dem Mittelmanagement für Aufsehen sorgte. Diese Woche war es dann Europas größtes Softwarehaus, SAP nämlich, das mit der Ankündigung von rund 8000 Mitarbeitern, die im Zusammenhang mit der KI-Einführung im Unternehmen entlassen werden sollen, nachsetzte.
Dabei geriet die Begründung allerdings etwas diffus: War es nun WEGEN KI und ihren Möglichkeiten, weswegen der Software-Konzern eine Entlassungswelle lostreten will, oder doch eher FÜR KI – also um neue Stellen mit eindeutiger KI-Qualifikation zu schaffen. Schon geht den Arbeitnehmervertretern in Walldorf der Schlingerkurs mächtig auf den „KIks“! Denn noch scheint nicht sicher, was SAP tatsächlich bezwecken will.
Erklärungsvorschlag Nummer Eins: Der konzerneigene KI-Assistent Joule soll im Unternehmen so viele Kapazitäten freisetzen, indem er Routinearbeiten übernehmen kann, dass die Arbeit auch ohne die 8000 Menschen erledigt werden kann. So war es bei Bayer, wo man erkannte, dass viele Aufgaben des Mittelmanagements eigentlich durch künstliche Intelligenz ersetzt werden könnte. Das hieße: KI vernichtet Arbeitsplätze.
Erklärungsvorschlag Nummer Zwei: SAP möchte im eigenen Betrieb die erheblichen Rationalisierungspotenziale durch den KI-Assistenten Joule für seine Kunden demonstrieren. Das könnte den Umsatz mit Joule ankurbeln und in der Konsequenz noch mehr Arbeitsplätze vernichten – nämlich bei den Kunden.
Erklärungsvorschlag Nummer Drei: Vor allem die Software-Entwicklung dürfte sich durch die KI-Unterstützung beschleunigen. Rund 500 SAP-Mitarbeiter haben bereits den Microsoft-Copiloten auf der Entwicklungsplattform GitHub ausprobiert und eine Zeitersparnis von bis zu 30 Prozent beim Coding nachgewiesen. Das kann SAP nur guttun angesichts eines unverändert monolithischen Anwendungspakets, für dessen Implementierung und individuelle Anpassung die Kunden Milliarden Euro an SAP überweisen. Doch aufgepasst: Dieses Geschäftsmodell könnte durch KI in Schieflage geraten, wenn auch für die Anwender die Software-Entwicklung künftig schneller und effizienter möglich ist.
Erklärungsvorschlag Nummer Vier: SAP möchte durch die Entlassung von 8000 Mitarbeitern Platz auf der Payroll schaffen, um besser auf KI vorbereitete Mitarbeiter einstellen zu können. Das würde bedeuten, die Mitarbeiterqualifikation würde an den offenen Arbeitsmarkt übergeben, statt durch eigene Schulungsmaßnahmen die nötigen Qualifikationen in der bestehenden Belegschaft weiterzuentwickeln. Zwar will SAP-Chef Christian Klein das firmeninterne Weiterbildungsprogramm von 100 Millionen Euro auf 150 Millionen Euro aufstocken, aber das könnte möglicherweise nicht reichen. KI-affine Mitarbeiter sind teuer, und die Nachfrage nach KI-Qualifikation übersteigt derzeit ohnehin das Angebot um ein Vielfaches. In diesem Fall jedenfalls würde KI Arbeitsplätze schaffen! Die entlassenen SAP-Experten dürften ohnehin auf eine schnelle Wiederanstellung bei SAP-Kunden setzen können.
Erklärungsvorschlag Nummer Fünf: Die Entlassungen haben nur vordergründig etwas mit KI zu tun und dienen ausschließlich Einsparplänen. Diese Erklärung führt in der Regel zu einem Anstieg an der Börse. Und in der Tat ist diese Woche die SAP-Aktie auf ein Rekordhoch geklettert.
Wahrscheinlich ist, dass die Entlassungswelle bei SAP ein Bündel aus allen fünf Erklärungsversuchen ist. Und ebenso wahrscheinlich ist, dass die Überlegungen bei anderen DAX-Unternehmen und großen Mittelständlern derzeit in eine ähnliche Richtung gehen. Ob Bayer, Bosch, ZF oder SAP – alle Unternehmen sehen sich in ihrer Wettbewerbsstärke durch künstliche Intelligenz herausgefordert. Es scheint der derzeit entscheidende Faktor für den DAX zu sein. Doch dass der KI-Faktor doch nur Hype und Hope sein könnte, glauben inzwischen immer mehr Unternehmer und Technologie-Experten. Es könnte sein, dass das Innovationstempo zur Zeit zu hoch ist, um noch klare Entscheidungen treffen zu können. Dagegen gibt es aber auch was mit KI.