Es ist nun annähernd ein halbes Jahrzehnt her, da hieß es verheißungsvoll: „Wir, Vertreter der deutschen Bundesregierung, Wirtschaft und Wissenschaft, streben eine leistungs- und wettbewerbsfähige, sichere und vertrauenswürdige Dateninfrastruktur für Europa an.“ Angestrebt wird seit Oktober 2019 unter dem Projektnamen Gaia-X die Schaffung eines europäischen Daten- und Infrastrukturökosystems, das höchste Anforderungen an die digitale Souveränität erfüllt. Dies bedeutet, dass die Kontrolle über Daten, Zugriff und Nutzung in den Händen der Datengeber liegen soll.
Die „Vertreter der deutschen Bundesregierung“ hießen damals Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmeier (beide CDU). Sie unternahmen den Versuch, dem enorm hohen Tempo, mit dem die privatwirtschaftlichen Tech-Giganten wie Amazon, Google oder Microsoft sowie chinesische Anbieter den Ausbau ihrer Cloud-Infrastrukturen vorantreiben, eine europäische staatliche Initiative entgegenzusetzen, die – wenn schon nicht mit dem Tempo mithalten – neue Qualitätsstandards bei der Datenhaltung erzielen sollte. Auch wenn der Initiative so namhafte Unternehmen wie Airbus Defence and Space, Bosch, die Deutsche Telekom, Festo, Siemens oder SAP sowie die Fraunhofer-Gesellschaft beigetreten ist, entstand bislang kaum mehr als meterweise Aktenordner und bürokratische Vorschriften.
Die Frage, ob mehr Staat oder mehr Markt besser geeignet sind, unsere drängendsten Infrastrukturprobleme zu begegnen, führt zu einem tiefen Riss zwischen den „Vertretern der aktuellen deutschen Bundesregierung“ – genauer gesagt zwischen Christian Lindner (FDP) und Robert Habeck (Grüne). Und tatsächlich versagt der Staat seit langem bei der Erneuerung der Infrastruktur im Land – angefangen bei Reparationen an Straße und Schiene über die Energie- und Mobilitätswende bis zur Bildungspolitik, deren Misserfolg nun ausweislich der jüngsten PISA-Studie zum schlechtesten Abschneiden seit Menschengedenken führte.
Wenn´s der Staat nicht richtet, muss die Wirtschaft eingreifen, oder? Praktisch alle Innovationen des Informationszeitalters wurden ohne staatliche Intervention vorangetrieben und gehorchten einzig und allein der Nachfragemacht des Marktes: Personal Computer, Internet, Smartphone, Cloud Computing und künstliche Intelligenz fallen einem sofort ein. Doch Halt: Intel erhielt erhebliche Subventionen durch die Forschungsabteilung des US-Verteidigungsministeriums (DARPA), das World Wide Web entstand an der Forschungseinrichtung CERN in Genf, das Smartphone wäre ohne die „digitale Dividende“, also der Reform der Telekommunikation, wertlos gewesen.
Markt und Staat sind kein Widerspruch – die Ampel streitet um des Kaisers Bart. Unsere soziale Marktwirtschaft ist vielmehr ein „Markt-Staat by Design“, ein Wechselspiel aus staatlicher Regulierung und privatwirtschaftlicher Initiative. Dieses System hat uns das Wirtschaftswunder gebracht. Doch heute ist es offensichtlich aus dem Tritt geraten. Unternehmen verweisen auf die Politik, und die Bundesregierung will die Unternehmen in die Pflicht nehmen. Was uns lähmt ist die Tatsache, dass jeder auf den anderen wartet.
Da zeigt Microsofts CEO Satya Nadella, der Microsoft in zehn Jahren zu einem Billionen-Unternehmen gemacht hat und offensichtlich ziemlich viel richtig macht, wie es gehen sollte: Bei seiner aktuellen Reise nach Indien hat er in Abstimmung mit der indischen Regierung das Projekt Advanta(i)ge India ins Leben gerufen, das bis 2025 zwei Millionen Menschen in Indien KI-Schulungsmöglichkeiten sichern soll. Das soll dazu beitragen, die Fähigkeitslücken im ganzen Land zu schließen und Indiens Fähigkeit zu stärken, im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz erfolgreich zu sein.
Könnte es doch so eine Public Private Partnership auch in Deutschland geben, wo es nicht nur einen Fachkräftemangel zu beklagen gibt, sondern auch zahlreiche „Fähigkeitslücken“, die es zu schließen gelte. Wäre ein Meeting zwischen Satya Nadella (oder Microsofts Präsidenten Brad Smith) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nicht ein Signal für Deutschland, dass der Streit um „Markt oder Staat“ durch ein „Markt-Staat by Design“ und damit durch eine Rückkehr zur Aufbruchsstimmung aus Rezession und Stagflation ersetzt werden kann. Machen wir´s den Indern nach!