Bekanntlich lassen sich emeritierte politische Amtsträger nach ihrem Ausscheiden aus Amt und Würden gerne launige Abendvorträge mit fünf- bis sechsstelligen Summen honorieren. Wenn man den amtierenden Bundeskanzler Olaf Scholz zu Gast haben will, müssen allerdings schon Milliarden sprudeln. „Bei größeren Investitionen“, erklärte der Bundeskanzler am vergangenen Donnerstag seinem Gastgeber, Microsofts Präsidenten Brad Smith, „schaue auch mal der Kanzler vorbei. So auch bei dieser.“
„Diese Veranstaltung“ – das war die Ankündigung von Microsoft, in diesem und dem kommenden Jahr mehr als drei Milliarden Euro im Rheinland und in der Rhein/Main-Region zu investieren, um mehr Rechenzentrumskapazitäten ins Land zu bringen, die dringend für die zunehmende Nutzung von Künstlicher Intelligenz hierzulande benötigt werden. „Hauptsächlich fließt das Geld in zwei Bereiche“, erklärte Brad Smith: „Der erste wird es uns ermöglichen, die KI- und Dateninfrastruktur auszubauen, sodass Deutschland KI wirklich nutzen kann, um die Wettbewerbsfähigkeit seiner Unternehmen zu steigern. Wir müssen mit dem stark zunehmenden KI-Bedarf deutscher Nutzer schritthalten.“ Und zweitens „rufen wir ein neues Qualifizierungsprogramm ins Leben. Das ist eine Partnerschaft mit deutschen Regierungsbehörden, mit Arbeitgebern im ganzen Land und mit gemeinnützigen Organisationen. Das Ziel lautet, dieses und nächstes Jahr 1,2 Millionen Menschen in Deutschland zu erreichen.“
Ausgerechnet in Deutschland – dem Land der Zögerer und Zauderer? Warum nicht in Irland, wo den Tech-Giganten lange Zeit mit Steuergeschenken die Ansiedlung energieintensiver Datenzentren schmackhaft gemacht wurde? In einem Exklusiv-Interview mit der Bild-Zeitung erklärt der Microsoft-Präsident die äußeren Beweggründe für diese Standortwahl: „Woher kommt die Stärke der deutschen Wirtschaftskraft? Es ist diese stark nach außen blickende Exportorientierung, nicht nur von den großen Namen wie Mercedes, BMW oder Bayer“, lobt Brad Smith die DAX-Unternehmen, um dann aber schnell hinzuzufügen: „Die Stärke kommt auch vom Mittelstand der Wirtschaft, der das Zentrum der Produktion bildet. Für mich ist das seit Langem die Grundstärke der deutschen Wirtschaft, und sie ist nach wie vor äußerst lebendig. Und wenn wir uns die wichtigsten Maßstäbe für Wettbewerbsfähigkeit ansehen - Investitionen und KI-Nutzung - dann ist Deutschland ein Spitzenreiter. In Europa ist Deutschland an zweiter Stelle bei der Pro-Kopf-Nutzung von KI in Organisationen. Ich halte das für etwas, das den Menschen Hoffnung und Zuversicht geben sollte.“
So ist es! Da muss jemand über den großen Teich kommen, um uns wieder die eigenen Stärken zu erklären. Von Irland aus könnte Microsoft die Unternehmen, die hierzulande die drittstärkste Wirtschaftsnation der Welt stützen, nicht ausreichend und zeitnah mit Rechenpower unterstützen. Die Latenzzeiten, also die Antwortzeiten aus der Cloud, wären zu hoch. Im Rhein/Main-Gebiet existiert aber schon einer der wichtigsten Internet-Knoten weltweit. Microsoft investiert in Deutschland, weil es in KI für seine Key-Kunden investiert.
Und hier irrt der Bundeskanzler, wenn er sagt, das angekündigte Microsoft-Engagement reihe sich ein in das Engagement von Intel und Tesla, die mit Milliarden-Investitionen Giga-Fabriken errichten. Der Unterschied liegt darin, dass Intel und Tesla ihre Produktionsstätten überall in Europa hätten aufziehen können – auch wenn es möglicherweise in Deutschland weniger schwieriger ist als anderswo, das benötigte Fachpersonal zu rekrutieren. Durchaus ausschlaggebend für die Entscheidungen von Intel und Tesla sind nicht zuletzt die milliardenschweren Steuergeschenke, die den beiden Unternehmen von der Bundesregierung unterbreitet wurden. Etwas Vergleichbares ist nach jetzigem Kenntnisstand gegenüber Microsoft nicht erfolgt.
Es ist die Nähe zu den Key-Kunden, die Microsoft sucht. Es ist die Aussicht darauf, in einem Land, in dem trotz Bildungsnotstand eine hervorragend ausgebildete Mitarbeiterschaft besteht, innerhalb von zwei Jahren 1,2 Millionen Menschen mit KI-Knowhow zu versehen. Am Ende profitieren alle – die Menschen, der Wirtschaftsstandort, Microsoft – und die Key-Kunden im Mittelstand und im DAX.