Deutschland im Herbst

Heinz-Paul Bonn • 23. September 2024

Der Dramatiker Frank Wedekind wandte sich gegen die Larmoyanz seiner Schriftstellerkollegen, die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts gerne darin übten, vermeintlich ungerechtfertigte Kritik im Besonderen und das Elend des Dichterlebens im Allgemeinen zu beklagen, statt sich mit eigener Kraft aus dem Prekariat zu befreien: „Ist mein Vater doch selbst schuld, dass ich mir die Finger abfriere. Warum schenkt er mir keine Handschuhe?“

Ersetzt man „Vater“ durch „Staat“ kommt man der Geisteshaltung, der wir auf allen Ebenen des politischen Diskurses begegnen, sehr nahe. Es zeigte sich nicht nur in den Wahlkämpfen zu den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg; es zeigt sich – und das betrübt mich fast noch mehr – auch in den Papieren und Studien, die jetzt überall in den Wirtschaftsverbänden aufpoppen und die vor allem eine Agenda für die Bundespolitik formulieren. Als wären drei Jahrzehnte an Bräsigkeit nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wirtschaft zu beklagen.

Man macht sich einen schlanken Fuß, wenn man einerseits eine Senkung der Energiekosten fordert, andererseits aber aus Staatsräson kein oder kaum noch russisches Gas importieren möchte, während die Forderung nach Atomstrom gerade einmal die kommende Generation bedienen würde. Es ist auch einfach, auf die – vorhandenen – Bürokratiehürden in den Verwaltungen zu verweisen und Regulierung als Hemmschuh für Innovationen zu beklagen, aber gleichzeitig die verknöcherten Strukturen in so manchem mittelständischen Betrieb unerwähnt zu lassen. 

„Industrie 4.0“ oder die digitale Transformation sind nicht plötzlich vom Himmel gefallen, sondern zeichnen sich spätestens seit der Jahrtausendwende ab. Doch die geplatzte Dot.Com-Blase war für viele Fortschrittsskeptiker ein willkommenes Argument, die eigenen Innovationsprojekte auf die lange Bank zu schieben. Für eBusiness, wie wir das damals nannten, hatte man keine Zeit. Für das Internet der Dinge hat man heute aber kein Geld.

Der Investitionsstau hat sich bis heute auf sagenhafte 1,4 Billionen Euro – also 1400 Milliarden – aufgetürmt. Das ist ohne Zweifel den Bundesregierungen im letzten Vierteljahrhundert anzulasten, die Deutschland auf Kante genäht haben und uns außen- und wirtschaftspolitisch völlig naiv in die Abhängigkeit von Schurkenstaaten wie Russland und China gedrängt haben. Daran sind aber nicht weniger die DAX-Konzerne schuld, die dank billigem Russen-Gas attraktive Dividenden ausgeschüttet haben, statt bei Zukunftstechnologien voranzuschreiten. Und nicht weniger ist es dem deutschen Mittelstand anzulasten, die sich in ihrem Kokon eingesponnen haben, um den Innovationsdruck von außen ignorieren zu können.

Deutschland im Herbst: Es ist an der Zeit, sich selbst Handschuhe zu nähen oder zu besorgen, wenn wir den Winter überstehen wollen. 20 Prozent der deutschen Wertschöpfung, so rechnet der BDI unterstützt durch die Boston Consulting Group vor, seien gefährdet, weil die Unternehmer und Handwerker entweder ins Ausland abwanderten oder ganz einfach im Stillen das Geschäft aufgeben. Es lohnt sich aber auch, in diesen Betrieben mal nach dem Maschinenbestand und den Geschäftsprozessen zu schauen. Man kann nun mal mit den Methoden und Materialien aus den achtziger Jahren keine internationale Wettbewerbsfähigkeit aufrechterhalten. 

Und man kann den Wirtschaftsstandort Deutschland auch nicht mit den Ansichten aus dem Tausendjährigen Reich stärken. Ganz im Gegenteil wäre ein Ausstieg aus der EU und dem Euro ein Sargnagel für den auf Außenwirtschaft ausgelegten Mittelstand. Würden wir die Frauen in die Kreiss-Säle schicken, verlören wir intelligente und loyale Arbeitskräfte, während vergleichbar menschenverachtende Fantasien zur Remigration die Attraktivität des Standortes weiter schwächen würden. 

Mir wurde zuletzt in den digitalen Medien geraten, weniger den BDI zu zitieren, dafür aber die AfD zu wählen. Das aber hieße, die ewig gestrigen Kräfte zu stärken, die in Wahrheit unser Land schwächen würden. Es ist im Gegenteil Zeit, Handschuhe anzuziehen, um eine Politik zu gestalten, die die Wirtschaft fördert und damit zugleich den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Es ist an der Zeit, Handschuhe zu wählen, mit denen wieder zugepackt werden kann, wenn es im Mittelstand darum geht, die eigene Zukunft in die (behandschuhte) Hand zu nehmen. Und es ist an der Zeit, Handschuhe mit ein paar zusätzlichen Unzen Gewicht zu schnüren, um starke Argumente gegen Populisten zu formulieren. Sonst wird aus Deutschland im Herbst ein tiefer, langanhaltender Winter.


26. Mai 2025
Rund 13 Milliarden Dollar hat Microsoft bislang in den KI-Pionier OpenAI gesteckt – aus dem Status „Startup“ ist das Unternehmen längst herausgewachsen. Und 13 Milliarden Dollar Jahresumsatz strebt Microsofts CEO Satya Nadella für dieses, spätestens nächstes Jahr an. Das kündigte er in seiner Keynote zur Eröffnung der Entwicklerkonferenz Build an. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass dieses Ziel auch erreicht wird, denn die KI-Not ist groß – also der Bedarf an Transformer-Modellen, mit denen Kunden hochindividuelle KI-Lösungen generieren und trainieren. 90 Prozent der 500 größten Unternehmen weltweit haben inzwischen schon eigene Modelle erstellt – meist auf der Basis von ChatGPT 4o, -o1 oder -o2 von OpenAI. Alles in allem sind es nach Microsoft-Schätzungen schon mehr als eine Million Modelle, die in den letzten knapp zwei Jahren erstellt wurden. Ob sie auch alle im praktischen Einsatz sind, kann aber getrost bezweifelt werden: Ein Großteil der KI-Modelle dürfte zunächst für Trainingszwecke, erste Tests und Machbarkeitsstudien generiert worden sein. Jetzt soll die Zahl der KI-Nutzer sprunghaft steigen, auch weil Microsoft die eigenen KI-Modelle unter dem Namen Copilot in praktisch alle Anwendungen integriert hat und damit in der Cloud, auf dem firmeneigenen Server, auf dem Personal Computer, dem Tablet oder dem Smartphone zur Verfügung stellt. Mit aggressiver Werbung, in dem Tausende Einsatzmöglichkeiten für den Copiloten auf dem Smartphone beworben werden, soll der KI-Einsatz Unternehmen, Organisationen und privaten Verbrauchern schmackhaft gemacht werden – obwohl zu Beginn der Kampagne nur wenige, äußerst gesuchte Beispiele gezeigt wurden: Der Copilot als Assistent bei Bühnenproben ist sicher ein kreativer Beitrag. Aber eine Killer-Anwendung ist das nicht gerade. Die kann nur von den Kunden kommen, die zunächst vor allem ihren Fachkräftemangel durch nützliche KI-Idioten für langweilige, wiederkehrende Aufgaben nutzen. Doch die immer schlauer werdenden Sprachassistenten können sehr viel mehr, wenn sie richtig und mit dem entsprechenden Datenmaterial trainiert werden. OpenAI-Chef Sam Altman sieht vor allem in Code-Assistenten, die hochautomatisiert Algorithmen und Software-Routinen entwerfen, einen wichtigen Wachstumsmarkt. In einem Tête-à-Tête mit Satya Nadella entwarfen beide neue Szenarien für neue Einsatzgebiete. Doch – Überraschung, Überraschung! - auch der glühende Altman-Kritiker Elon Musk wurde virtuell zugeschaltet, um seine Vision von KI und seine Version des Sprachassistenten vorzustellen. Denn künftig ist auch das xAI-Gewächs Grok auf Microsofts Azure-Plattformen verfügbar. Zwar gilt Grok als tendenziös, weil es nicht nur wiederholt beim Halluzinieren erwischt worden ist und darüber hinaus Verschwörungslegenden zu verbreiten hilft. Doch das ficht Satya Nadella nicht an. Sein Ziel ist es, neben ChatGPT möglichst viele alternative Sprachmodelle auf der Azure-Plattform anzubieten. So könnte auch Facebooks offenes Sprachmodell Llama bald auf Azure zu erwarten sein. Ohnehin, so erklärte Satya Nadella in seiner Keynote, werde die KI-Not der Anwender nicht primär durch die Zahl der Modelle gelindert, sondern durch die Leistungsfähigkeit der Hyperscaler. Es sind die Cloud-Rechenzentren, die möglicherweise den Wettbewerbsvorteil erbringen. Denn wenn KI in der Breite ausgerollt wird, werden Rechenleistungen benötigt, die nur noch durch die hocheffizienten – und immer häufiger auch klimaschonend – arbeitenden Server-Farmen in den Hochsicherheitstrakts der Cloud Service Provider erbracht werden können. Hier sieht sich Microsoft vorn – auch wenn es eher ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Amazon Web Services sein dürfte. Doch die jüngst angekündigten Investitionen im Rheinischen Braunkohlerevier und an anderen Standorten in Europa zeigen, dass Microsoft den Ausbau der Rechenleistung mit Milliarden-Investitionen vorantreiben will. Und auch deshalb hat Microsofts Präsident Brad Smith bei seinem jüngsten Besuch in Brüssel den Willen seiner Firma bekräftigt, gegen mögliche Repressalien durch die US-Regierung Widerstand leisten zu wollen. Tatsächlich liebäugelt US-Präsident Donald Trump mit dem Gedanken, den Europäern nicht nur Strafzölle aufzubrummen, sondern auch den Digitalhahn zuzudrehen. Dann würde allerdings tatsächlich in Europa KI-Not drohen. Unter dem Arbeitstitel – „Analog war gestern“ – arbeite ich derzeit an meinem neuesten Buch, in dem ich natürlich in die Zukunft schaue, indem ich aber auch auf 830 Bonnblogs zu Themen wie Informationswirtschaft, Mittelstand und Wirtschaftspolitik zurückscheue. Es ist nicht leicht zu ertragen, wenn man in der Rückschau liest, welche Visionen, welche Warnungen, welche Aufmunterungen zu Mut und Handeln in diesen Texten stecken – die offensichtlich ungehört verhallten. Aber ich will es noch einmal versuchen – quasi mit der Quintessenz daraus. „Analog war gestern – die jetzt notwendige Verfassungsänderung!“ wird im Herbst 2025 erscheinen. Wer neugierig geworden ist, kann schon jetzt eine Subskription zeichnen. Den Link dazu gibt es hier.
von Heinz-Paul Bonn 19. Mai 2025
Eigentlich hätten wir schon 2005 das Jahr der Digitalisierung feiern können. Haben wir aber nicht. Auch zehn Jahre später, 2015, haben weder die Verwaltungen, noch der deutsche Mittelstand den Durchbruch gewagt. Denn erst, 2005, war kein Geld da, dann 2015 fehlte angesichts voller Auftragsbücher die Zeit. Und die Bundesregierung befasste sich mehr mit Immigration als mit Innovation. Das Ergebnis: 2021, zum Beginn der Corona-Krise, mussten wir feststellen, dass das Faxgerät noch immer das Kommunikationsmittel der Wahl in deutschen Behörden war. Dieses für die digitale Bräsigkeit Deutschlands geradezu sprichwörtlich gewordene Faxgerät soll nun endlich auf dem Müllhaufen der Geschichte landen, versprach Bundesdigitalminister Karsten Wildberger in seiner Antrittsrede im Bundestag. Das klingt bodenständig und zurückhaltend – offenbar weiß der Manager von MediaMarkt und Saturn, wieviel er dem deutschen Beamtenapparat und dem Mittelstand zumuten kann. Es klingt denn auch schon fast wie ein Einführungsvortrag in die traditionelle chinesische Medizin, wenn er formuliert: "Digitalisierung ist ein Prozess. Der braucht Zeit, der braucht Mut, der braucht Expertise, der braucht Geduld und der braucht Partner." Wie wahr und doch so banal. Ich hatte mir ein Feuerwerk an Initiativen erhofft, die dem deutschen Mittelstand den Weg in die Digitalisierung schmackhaft machen und eine individuelle Entbürokratisierungsinitiative für jeden einzelnen Betrieb durch Effizienz und künstliche Intelligenz eingeleitet hätte. Stattdessen bekamen wir Klassiker, die nicht weniger notwendig sind, aber eben doch schon ein wenig altbacken daherkommen: „Deutschland-Stack und Bürger-ID. Das klingt nach: Selbstverständlichkeit im Baltikum, bei uns bald ein Unikum. Doch was ist das überhaupt? Jeder Bürger solle eine digitale Identität erhalten, "die das Leben erleichtert, vom Personalausweis über den Führerschein bis zur Fahrkarte. Alles in einem digitalen Portemonnaie." Der geplante Deutschland-Stack steht demnach für "eine einheitliche IT-Infrastruktur mit Basiskomponenten wie Cloud- und IT-Diensten und klar definierten Schnittstellen mit Fokus auf Cybersicherheit.“ Am 17. Mai eines jeden Jahres feiern wir weltweit den Tag des Internets, der Telekommunikation und den Tag der Informationsgesellschaft. Der 17. Mai 2026 ist sicher ein guter Tag, um darauf zu achten, wie weit Karsten Wildberger mit seinen Initiativen bereits gekommen ist. Ich hoffe, die kommenden zwölf Monate werden das Jahr der Digitalisierung in Deutschland. Die Erfahrungen aus der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte lassen allerdings wenig Hoffnung aufkommen. Doch eines gilt heute ebenso wie nächstes Jahr: Analog war gestern! Unter diesem Arbeitstitel – „Analog war gestern“ – arbeite ich derzeit an meinem neuesten Buch, in dem ich natürlich in die Zukunft schaue, indem ich aber auch auf 830 Bonnblogs zu Themen wie Informationswirtschaft, Mittelstand und Wirtschaftspolitik zurückscheue. Es ist nicht leicht zu ertragen, wenn man in der Rückschau liest, welche Visionen, welche Warnungen, welche Aufmunterungen zu Mut und Handeln in diesen Texten stecken – die offensichtlich ungehört verhallten. Aber ich will es noch einmal versuchen – quasi mit der Quintessenz daraus. Und ich hoffe sehr, dass ich beim Erscheinen dieses Buches im Herbst dieses Jahres auch schon über Erfolge des Bundesdigitalministers berichtet haben werde. (Ich liebe das Futurum II.) „Analog war gestern – die jetzt notwendige Verfassungsänderung!“ wird im Herbst 2025 erscheinen. Wer neugierig geworden ist, kann schon jetzt eine Subskription zeichnen. Den Link dazu gibt es hier.
von Heinz-Paul Bonn 11. Mai 2025
Der eine benötigte vier Wahlgänge und sprach vom Frieden. Der andere brauchte zwei Wahlgänge und sprach davon, alles zu tun, um den Krieg in der Ukraine zu beenden. Die Wahl von Papst Leo XIV dauerte zwei Tage, was für ein Konklave ungewöhnlich schnell ist. Die Wahl von Bundeskanzler Friedrich Merz zog sich einen Tag hin – und die Welt spricht von einer Staatskrise. Krise? Welche Krise? Der Staat, in dem wir leben, hat ganz andere Krisen zu meistern, als die verpatzte Kanzlerwahl und dem damit unterstellten möglichen Reputationsverlust. Da ist eine massive Innovationskrise, die dazu führte, dass unser Land in den Weltranglisten ins Mittelmaß durchgereicht wurde. Da ist eine immer offenkundiger werdende Infrastrukturkrise, die unsere Wirtschaft und jeden Einzelnen tagtäglich behindert. Wir befinden uns inmitten einer Klima- und Energiekrise, in der für viele Betriebe wirtschaftliches Handeln kaum noch denkbar ist. Und wir befinden uns in einer Gestaltungskrise, die aus überbordender Bürokratie und ineffizienter Verwaltung erwächst. Das sind Staatskrisen! Doch die neue Bundesregierung war noch nicht vereidigt, da ging das Wort von der Staatskrise schon um, nachdem ein paar Abweichler – mutmaßlich aus Frustration darüber, bei der Ämtervergabe übergangen worden zu sein – im ersten Wahlgang dem Kandidaten ihre Zustimmung verweigerten. Wie stark unsere Demokratie und unser Grundgesetz sind, hat dann aber vielmehr die nachfolgende Änderung der Geschäftsordnung des Bundestags gezeigt, die durch die Unterstützung der Grünen und Linken möglich wurde. Danach kam alles wie geplant – nur um Stunden verspätet. Jetzt ist ein neuer Mann im Kanzleramt, der zwar über keine Erfahrung in der Führung eines politischen Amtes verfügt, dem man aber doch nachsagen darf, dass er Steherqualitäten hat und auch nach Niederlagen wieder aufsteht. Tatsächlich ist das eine Haltung, die uns weiterhelfen könnte. Die ersten hundert Stunden machten Mut. Beurteilt werden sollte er frühestens nach hundert Tagen. Und dann ist da dieser neue Papst, in Chicago geboren, dessen Wahl nun so wirkt, als sei das Konklave vor dem US-amerikanischen Präsidenten eingeknickt. Doch wer nun unter wem regieren wird, wird sich noch herausstellen – auch dazu braucht es eine Stillhaltepflicht. Eines aber ist sicher: der Augustiner Robert Francis Prevost hat schon jetzt Richtungspfeiler gesetzt: Mit dem Namen Leo stellt er sich in die Nachfolge von Leo XIII, dessen Sozialenzyklika die Hinwendung der katholischen Kirche aus der Isolation in die (sozial)politische Verantwortung nach der ersten industriellen Revolution eingeleitet hat. Leo XIV sieht sich in einer ähnlichen Situation: die industrielle Revolution durch künstliche Intelligenz, so sagte er, stelle eine neue Herausforderung für die soziale Frage – und die stehe ganz oben auf seiner Agenda. Aber auch er steht einem Staat vor, der von Krisen geschüttelt ist: Der zaghafte Reformkurs seines Vorgängers hat die Zerrissenheit zwischen Konservativen und Liberalen nur verstärkt – der Wunsch zur Umkehr hat das Konklave anfangs beeinflusst und damit andere Kandidaten favorisiert. Doch eine alte Weisheit im Vatikanstaat lautet: „Wer als Papst in das Konklave hineingeht, kommt als Kardinal wieder heraus.“ Robert Francis Prevost ist den umgekehrten Weg gegangen. Dabei dürfte ihm sein bisheriges Amt, das ihm die Personalverantwortung im Vatikan übertrug, geholfen haben, um als Brückenbauer zu wirken. Eine Eigenschaft, die der neue Bundeskanzler allerdings noch erwerben muss – vor allem in der Krise. 
von Heinz-Paul Bonn 5. Mai 2025
The world was briefly stunned when US President Donald Trump, with one of his first decrees in office, temporarily suspended military support, satellite reconnaissance, and communication infrastructure for Ukraine. Military experts wondered what would happen if this support were to be withdrawn for Europe as part of NATO. Even more concerning, European entrepreneurs began to ask themselves what they would do if Trump ordered his tech companies to stop offering their digital services in Europe. Such a scenario was—and still is—quite realistic in the context of trade disputes. If an actual trade war were to erupt between the USA and the EU, it is entirely conceivable that Europe could face a digital blackout if the opposing side were tempted to shut down the entire infrastructure provided in Europe by American high-tech companies. There is already a growing chorus in Europe advocating for more “digital sovereignty” and calling for an independent digital infrastructure based on cloud computing, artificial intelligence, and internet communication. Some state governments in Germany are even beginning to steer away from MAGA—which in this case does not stand for “Make America Great Again,” but for Microsoft, Amazon, Google, and Apple. “Should any government anywhere in the world issue an order forcing Microsoft to suspend or cease operations or support for our data centers in Europe, we will take legal action,” Microsoft President Brad Smith declared last Wednesday during a visit to Brussels—thereby signaling: We are the good guys. In any case, Microsoft deemed such a scenario “unlikely.” Yet, in view of the current “geopolitical volatility,” the unexpected is never far away. After all, a number of European regulations targeting digital conglomerates are a thorn in the side of the US President. These include digital taxes in EU countries such as France, as well as EU laws through which Brussels seeks to curb the market power of the tech giants. In the event of further escalation in the trade dispute with Trump, EU representatives fear that the US President might actually instruct US companies to withdraw from Europe. According to industry insiders like the German Digital Association Bitkom, European companies are heavily dependent on cloud services from the USA. And conversely, Microsoft generates a quarter of its revenue in Europe—and that share is expected to rise given anticipated investments in cloud computing and artificial intelligence. It is no wonder, therefore, that Brad Smith not only renewed his commitment to ensuring more computing power from hyperscalers in Germany and Europe—as is currently planned for the Rhenish lignite region—but is also negotiating a third location in the lignite area of Grevenbroich, west of North Rhine-Westphalia’s state capital Düsseldorf. The plan to boost Europe’s data center capacity by 40 percent could lead to 200 additional data centers and a multi-billion-dollar investment on the Old Continent. “As every citizen and every company, we do not always agree with every measure taken by every government,” Brad Smith diplomatically remarked. “But even if we have lost cases before European courts, Microsoft has long respected and complied with European laws.” For this reason, Brad Smith also reiterated in a globally noted blog post that legal action would be taken against any attempt by the US government to ban Microsoft’s engagement in Europe. The message is clear: We are the good guys! Microsoft points to its cooperation with SAP under the name Delos. SAP emphasizes that while the technology was adopted from Microsoft, the infrastructure entirely belongs to SAP. In France, Microsoft collaborates with Capgemini and Orange. This arrangement is reminiscent of a construct that Microsoft created in cooperation with Deutsche Telekom a decade ago. Back then, the Microsoft Cloud was essentially managed in trust by Deutsche Telekom. However, the product suffered from two problems: firstly, interest in cloud computing had not yet taken off, and secondly, although the solution was secure, it was also expensive. Microsoft is trying to distinguish itself positively from its competitors. For instance, Mark Zuckerberg strikes a very different tone when, in March in the Wall Street Journal, he called on the US government for “aggressive” support to avoid impending EU fines. And Apple, following a 500‑million‑dollar fine imposed by the EU, complained that it was “yet another example of the Commission unfairly targeting the company” and forcing it to give away technology for free. Microsoft’s Brad Smith, on the other hand, extends an olive branch to Europeans. He is seeking a transatlantic balancing act. After all, the message should not be misunderstood: We are, after all, the good guys!
von Heinz-Paul Bonn 4. Mai 2025
Die Welt war kurzzeitig in Schockstarre, als US-Präsident Donald Trump mit einem seiner ersten Dekrete im Amt vorübergehend die militärische Unterstützung, die Satelliten-Aufklärung und die Kommunikations-Infrastruktur für die Ukraine aussetzte. Was, so fragten sich Militärexperten, wenn diese Unterstützung im Rahmen der Nato auch für Europa wegfallen würde. Doch noch mehr Sorgen machten sich Unternehmer und Unternehmerinnen in Europa: Was tun, so mussten sie sich Fragen, wenn Trump es seinen Tech-Konzernen untersagen würde, ihre digitalen Dienste weiterhin in Europa anzubieten. Ein solches Szenario war und ist im Rahmen der Zollauseinandersetzungen durchaus realistisch. Sollte es tatsächlich zu einem Handelskrieg zwischen den USA und der EU kommen, dann wäre es durchaus denkbar, dass Europa dann ein Digitaler Blackout drohen könnte, wenn sich die Gegenseite dazu hinreißen ließe, die gesamte von US-amerikanischen Hightech-Unternehmen bereitgestellte Infrastruktur in Europa abzuschalten. Schon mehren sich die Stimmen in Europa, die mehr „digitale Souveränität“ empfehlen und eine eigenständige digitale Infrastruktur aus Cloud Computing, künstlicher Intelligenz und Internet-Kommunikation fordern. Und schon gibt es auch erste Landesregierungen in Deutschland, die den Weg weg von MAGA suchen – was in diesem Fall nicht bedeutet: Make America Great Again, sondern Microsoft, Amazon, Google und Apple. „Sollte eine Regierung irgendwo auf der Welt eine Anordnung erlassen, mit der sie Microsoft zwingen will, den Betrieb oder die Unterstützung für unsere Rechenzentren in Europa auszusetzen oder einzustellen, werden wir vor Gericht ziehen“, sagte Microsoft-Präsident Brad Smith am vergangenen Mittwoch bei einem Besuch in Brüssel – und signalisierte damit: Wir sind doch die Guten. Ohnedies bezeichnete Microsoft ein solches Szenario als „unwahrscheinlich“. Doch unverhofft kommt oft angesichts der derzeitigen „geopolitischen Volatilität“. Denn eine Reihe europäischer Regeln für Digitalkonzerne sind dem US-Präsidenten ein Dorn im Auge. Darunter sind etwa die Digitalsteuern in EU-Ländern wie Frankreich, sowie EU-Gesetze, mit denen Brüssel die Marktmacht der Tech-Giganten einschränken will. Für den Fall einer weiteren Eskalation im Handelsstreit mit Trump befürchten EU-Vertreter deshalb durchaus, der US-Präsident könnte US-Konzerne anweisen, sich aus Europa zurückzuziehen. Nach Einschätzung von Branchenvertretern wie dem deutschen Digitalverband Bitkom sind EU-Unternehmen stark auf Cloud-Dienste aus den USA angewiesen. Und umgekehrt: Ein Viertel seines Umsatzes generiert Microsoft in Europa – und das angesichts der zu erwartenden Investitionen in Cloud Computing und künstlicher Intelligenz sogar mit steigender Tendenz. Kein Wunder also, dass Brad Smith nicht nur das Commitment erneuert, in Deutschland und in Europa weiterhin für mehr Rechenleistung aus Hyperscalern Sorge zu tragen, wie sie gerade im Rheinischen Braunkohlerevier geplant sind. Auch ein dritter Standort im Braunkohle-Standort Grevenbroich, westlich der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt Düsseldorf wird gerade verhandelt. Der Plan, die Rechenzentrumsleistung in Europa um 40 Prozent aufzustocken, könnte in 200 weitere Rechenzentren münden und in eine mehrere Milliarden Dollar Investition auf dem Alten Kontinent. „Wie jeder Bürger und jedes Unternehmen sind auch wir nicht immer mit jeder Maßnahme jeder Regierung einverstanden“, formulierte Brad Smith diplomatisch. „Aber selbst wenn wir Fälle vor Europäischen Gerichtshöfen verloren haben, hat Microsoft seit Langem die europäischen Gesetze respektiert und befolgt.“ Deshalb kündigte Brad Smith auch erneut in einem weltweit beachteten Blogbeitrag an, dass man gegen ein mögliches Ansinnen der US-Regierung, Microsoft das Engagement in Europa zu verbieten, gerichtlich vorgehen würde. Das Signal ist nicht zu überhören. Wir sind doch die Guten! Microsoft verweist auf seine Kooperation mit SAP unter dem Namen Delos. SAP betont, dass die Technologie von Microsoft übernommen wurde, die Infrastruktur aber komplett SAP gehöre. In Frankreich kooperiert Microsoft mit Capgemini und Orange. Das ganze erinnert an ein Konstrukt, das Microsoft vor einem Jahrzehnt in Zusammenarbeit mit der Deutschen Telekom geschaffen hatte. Damals wurde die Microsoft-Cloud quasi in Treuhand von der Deutschen Telekom verwaltet. Das Produkt krankte allerdings an zwei Problemen: erstens war das Interesse an Cloud Computing noch nicht entflammt und zweitens war die Lösung zwar sicher, aber auch teuer. Microsoft versucht, sich positiv vom Wettbewerb abzuheben. Mark Zuckerberg etwa schlägt ganz andere Töne an, wenn er im März im Wall Street Journal die US-Regierung um „aggressive“ Unterstützung bittet, um drohenden EU-Strafen zu entgehen. Und Apple klagt nach der verhängten Strafe in Höhe von 500 Millionen Dollar durch die EU, über ein „weiteres Beispiel dafür, dass die Kommission das Unternehmen in unfairer Weise ins Visier“ nehme und zwinge, Technologie kostenlos abzugeben. Microsofts Brad Smith hingegen zeigt den Europäern die offene Hand. Er sucht einen transatlantischen Spagat. Denn die Botschaft soll nicht missverstanden werden: Wir sind doch die Guten.
von Heinz-Paul Bonn 28. April 2025
Die mutmaßliche neue Bundesregierung verspricht, was schon ihre drei Vorgängerinnen versprochen haben: Bürokratieabbau. Allerdings sind sowohl die Ampel als auch die vorherigen Merkel-Regierungen daran gescheitert, dieses Versprechen einzulösen. Im Gegenteil: die Zahl der neuen Gesetze ist jeweils gestiegen. Das liegt auch an der Brüsseler beziehungsweise Straßburger Regulierungssucht, wo EU-Kommission und EU-Parlament den Eindruck erwecken, dass die eigene Existenzberechtigung vor allem durch immer neue Bürokratieauflagen untermauert werden soll. Zugegeben, nicht jeder Verwaltungsaufwand ist zugleich auch unnütz. Aber neben Dokumentations- und Informationspflichten sowie dem Ausfüllen von Formularen für Steuer- und Sozialversicherungsbehörden summiert sich doch die Zeit, die Unternehmen für die Befolgung von Gesetzen und Regeln zum Beispiel beim Datenschutz, im Arbeitsrecht, im Umweltschutz oder bei technischen Mindeststandards aufwenden müssen erheblich. Und Aufbewahrungsfristen, Nachweispflichten oder die Tatsache, dass immer noch zu wenig Geschäftsvorfälle mit den Behörden digital und unterbrechungsfrei ablaufen, führen zu Frustration und unnötiger Arbeitsbelastung. Rund 1,5 Milliarden Arbeitsstunden wenden die rund 3,8 Millionen Beschäftigten in mittelständischen Unternehmen pro Jahr für bürokratische Aktivitäten auf, hat jetzt die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) in ihrem Mittelstandspanel ermittelt. Dazu befragte sie rund 10.000 Unternehmen in Deutschland nach ihrer Einschätzung. Der Gesamtwert dieses Arbeitsaufwands entspricht nach KfW-Berechnungen einem Wert von 61 Milliarden Euro an entgangenem Umsatz. Nicht eingerechnet sind dabei Sachkosten – wie etwa die Kilometer an Aktenordnern, die sich in den rund drei Millionen mittelständischen Unternehmen ansammeln. Und ebenfalls nicht berücksichtigt wurden schwer quantifizierbare „psychologische Kosten im Umgang mit Bürokratie“, wie es KfW-Mittelstandexperte Michael Schwarz formulierte, die durch langwierige Planungs- und Genehmigungsverfahren, schlechte Behördenerreichbarkeit oder die strittige Auslegung von Vorschriften entstehen können. Gegenüber der KfW nennen denn auch mittelständische Unternehmerinnen und Unternehmer diese Belastung die größte Herausforderung – größer als Energiekosten, Steuerlast oder Zollstreitigkeiten. Dass sich an diesen Rahmenbedingungen jedoch zügig etwas ändert, ist kaum zu erwarten. Laut Koalitionsvertrag, der sich gegenwärtig in der Prüfung durch die Parteien befindet, ist nicht vor dem Ende dieses Jahres mit Milderung zu rechnen. Wer jetzt schnell den Bürokratiekosten entgehen will, sollte deshalb prüfen, was sich an den Verwaltungspflichten automatisieren lässt. Der möglicherweise schnellste und vielleicht sicherste Weg aus dem Bürokratiedilemma führt über den Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Mit KI gegen den Ko? Knapp 60 Prozent der Unternehmen glauben, dass ihnen KI bei der Bewältigung bürokratischer Lasten helfen wird, hat die DZ Bank in einer Mittelstandsbefragung ermittelt. Vor allem die Baubranche, die nach dem KfW-Mittelstandspanel zusammen mit Soloselbständigen am stärksten unter der Bürokratielast ächzt, erwartet in Planungs- und Genehmigungsverfahren Entlastung durch KI. Im Rechnungswesen, bei der Steuerklärung oder in der Dokumentation von Arbeitsschritten soll KI die gesetzlichen Anforderungen umsetzen. In einer ersten Analyse wurden beispielsweise 6000 Gesetzestexte durchgesehen, um das Automatisierungspotential zu ermitteln. Und offensichtlich reagiert der Mittelstand auch unmittelbar auf der Kostenseite auf die mögliche Entlastung durch KI. Gut jedes fünfte von der Wirtschaftsauskunftei Creditreform befragte Unternehmen hat seinen Personalbestand verkleinert. Laut Frühjahrsumfrage 2025 unter 1200 Unternehmen, hat nur jeder siebte Arbeitgeberin den letzten zwölf Monaten das Personal aufgestockt. Damit überwiegt im zweiten Jahr in Folge der Stellenabbau einen Personalaufbau. Wieder ist es das Baugewerbe, das allen voran Stellen streicht. Natürlich ist der Bürokratiedruck nicht die einzige Ursache für diesen Rückgang. Aber Automatisierung durch KI macht den Stellenabbau ohne Produktivitätsverlust möglich. Das belastet den Arbeitsmarkt. Aber ohne KI wäre manches Unternehmen schon jetzt Ko. Deshalb gilt für den Mittelstand 2025: Weniger Aktenordner, mehr Möglichkeiten. Weniger Warteschleifen, mehr Fortschritt. Weniger Ko, mehr KI.
von Heinz-Paul Bonn 20. April 2025
Nun ist es passiert: Carsten Linnemann wirft quasi hin! Seine offizielle Begründung, er wolle die Wiederaufrichtung der CDU vollenden, klingt gut, entspricht aber wohl nicht der ganzen Wahrheit. Tatsache ist nämlich, dass das ihm zugedachte Wirtschaftsministerium so stark beschnitten ist, dass sich daraus nur schwer richtungsweisende Veränderungen durchsetzen lassen könnten. Denn bei praktisch allen Initiativen, die jetzt wichtig und dringend sind, müsste der neue Wirtschaftsminister von Pontius zu Pilatus laufen, um sich Unterstützung aus dem Ministerkollegium zu holen: die Sozialausgaben werden im Arbeitsministerium verwaltet, Maßnahmen zur Ankurbelung der Konjunktur liegen in der Obhut des Finanzministeriums und Programme gegen den Klimawandel sind wieder im Umweltministerium verortet – alles Ressorts übrigens, die aller Voraussicht nach künftig von Sozialdemokraten geführt werden. Bliebe es dabei, wäre das Wirtschaftsministerium nur noch ein Schrumpfministerium. Kaum zu glauben, dass eine der wichtigsten Aufgaben der neuen Bundesregierung derart zur Nebensache herabgewürdigt wird. Carsten Linnemann jedenfalls hatte auf so etwas wie ein Superministerium spekuliert, das mit großen Vollmachten ausgestattet wäre. Und nichts erwartet die Wirtschaft, allen voran der Mittelstand, sehnlicher als eine verlässliche Wirtschaftspolitik, bei der auch geschieht, was angekündigt wird. Dafür gibt es dem Vernehmen nach künftig ein Digitalministerium. Endlich! möchte man ausrufen. Doch dem droht offensichtlich das gleiche Schicksal wie dem Wirtschaftsressort: statt Richtlinienkompetenz zu erhalten, wird der Amtsinhaber oder die Amtsinhaberin wohl eher jedem anderen Minister hinterherlaufen müssen: bei der Sicherheit dem Innenministerium, bei der Digitalisierung der Wirtschaft einem verkappten Wirtschaftsministerium (siehe oben), beim Ausbau der Schulen und Universitäten dem Bildungsministerium, bei der Infrastruktur dem Verkehrsministerium und bei der elektronischen Gesundheitsakte dem Gesundheitsministerium. Beim ebenso drängenden Bürokratieabbau, der ohne Digitalisierung nicht glücken wird, müsste der oder die Digitalverantwortliche ohnehin jedem nachlaufen. Die beiden vielleicht wichtigsten Aufgaben der Bundesregierung sind in ihrem Zuschnitt schon jetzt wenn nicht zum Scheitern verurteilt, so doch in ihrer Effizienz und Kompetenz stark eingeschränkt. Dabei wäre ein Superministerium für Digitales und Wirtschaft jetzt der geeignetste Hebel, um die Unternehmen in Deutschland wieder in Schwung zu bringen. Aber vielleicht reißt der künftige Bundeskanzler auch beide Ressorts an sich und verortet sie im Kanzleramt. Dann bekäme Führung, wer Führung bestellt. Doch die Prioritäten scheinen anders gesetzt. Im Vorgriff auf sein angestrebtes Amt reist Friedrich Merz durch Europa, um sich mit amtierenden Regierungschefs über eine gemeinsame Migrationspolitik abzustimmen. Dabei wäre doch das wahre Top-Thema die Erstarkung der größten Wirtschaftsnation in Europa und damit die Erstarkung von Europa selbst – erst recht angesichts der drohenden Handels-Händel mit den USA und mit der Volksrepublik China. Immerhin sehen die offiziellen Verbandsvertreter für den Mittelstand, in ihrer Lobbyarbeit auf eine positive Grundstimmung bedacht viel Schönes im Koalitionspapier. Sie loben, dass Betriebe in den kommenden Jahren einen höheren Prozentsatz ihrer Investitionskosten steuerlich abschreiben können. Die Folge soll ein "Investitions-Booster" sein, den die deutsche Wirtschaft in der Tat dringend braucht. Und wenn auch die Körperschaftssteuer erst 2028 sinken solle – ein Schritt in die richtige Richtung wäre auch das. Auch die Stromsteuer soll auf den in der EU erlaubten Mindestwert reduziert werden. Gleiches gilt für die Netzentgelte. Und für energieintensive Produktionen soll ein niedrigerer Industriestrompreis gelten. Aber reicht das? Es sind schwierige Zeiten, wie es sie lange nicht gab. Die Amtsübernahme im Bundeskanzleramt steht im Schatten von wirkmächtigen inneren und äußeren Bedrohungen. Es braucht wirkmächtige Maßnahmen, um ihnen erfolgreich zu begegnen. Ein Superministerium für Digitales und Wirtschaft wäre ein Schritt, der sofort greifen könnte.
14. April 2025
Da ist es wieder zurück – das böse Wort vom Dauerstreit, das die drei Jahre Ampel-Koalition begleitet hat wie ein Kaugummi unter der Schuhsohle. In einem Interview mit dem Handelsblatt erzählt Friedrich Merz, wie die Koalitionsverhandlungen, die ihm die Kanzlerschaft einbringen sollen, Anfang vergangener Woche auf der Kippe standen. Eine „kritische Phase“ habe sich ergeben, als die SPD-Vertreter auf Steuererhöhungen gedrängt haben. „Einen Koalitionsvertrag mit Steuerhöhungen, den könnt ihr haben. Aber meine Unterschrift wird er dann nicht bekommen.“ Die Selbstauskunft über das Basta-Wort hat Merz wohl auch deshalb selbst gegeben, weil er beweisen will und muss, dass er Kanzler kann. Und zum Wochenende setzte Merz noch einen nach: Im Gespräch mit der Bild am Sonntag widersprach er der Einschätzung des SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil, die Senkung der Einkommenssteuer für kleine und mittlere Einkommen sei ebenso beschlossene Sache wie die Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro. Das alles stünde unter Finanzierungsvorbehalt, ließ er wissen. Es habe darüber „Meinungsverschiedenheiten“ gegeben. „Deswegen haben wir es offengelassen“, erklärte der CDU-Chef. Das ist Streit, aber ist es auch Kultur? Merz wagt diese Klarstellung kurz vor dem Tag, an dem die Mitgliederbefragung in der SPD zur Zustimmung oder Ablehnung des Koalitionsvertrags startet. Dieser Finanzierungsvorbehalt ist in der Tat die steilste und brisanteste Textstelle im gesamten Vertragswerk. Denn sie gibt Gelegenheit, vermeintlich Vereinbartes später wieder auszuhebeln und sich folglich dauerhaft zu zerstreiten. Nicht auszudenken, wenn die sozialdemokratische Basis jetzt zurückschreckt. Ist es inzwischen das Wesen einer aus drei Parteien zusammengesetzten Koalition, im Dauerstreit zu verharren? Oder ist es inzwischen doch eher so, dass wir uns in unseren Meinungs-Burgen verschanzen und uns jeden Kompromiss in Dauerstreitigkeiten abringen lassen. Doch Demokratie lebt eben nicht von der Durchsetzung der vermeintlich besten Lösung, sondern von der Findung eines tragfähigen Kompromisses. Haben wir das verlernt? Wann haben wir die Streit-Kultur verloren? Überall auf der Welt regt sich die Sehnsucht nach einem Erlöser, der durchregiert, einfache Antworten auf eine komplexe Gemengelage verspricht und dabei so tut, als wolle er (oder sie) das Beste für die Anhängerschaft – doch bei genauem Hinsehen entpuppen sich diese Populisten als gewiefte Kleptokraten, die Börsen beeinflussen, Deals eintüten und vor allem in die eigene Tasche zu wirtschaften scheinen. Davon sind wir in Deutschland noch weit entfernt. Aber der wachsende Verdruss über dauerstreitende Politiker schürt die Sehnsucht nach einer einfachen und populären Lösung – egal auf wessen Kosten. Schon teilen sich die Deutschen laut einer aktuellen Abstimmung im Umfrage-Portal Civey ziemlich genau in zwei gleich große Lager derer, die die Union auffordern, die Brandmauer gegenüber einer Zusammenarbeit mit der AfD niederzureißen, und denjenigen, die genau das für den nächsten Sündenfall von Friedrich Merz halten. Die Befürworter, die „Die Mauer muss weg!“ rufen, argumentieren, nur so könne sich die Union aus dem Würgegriff der Sozialdemokraten befreien. Der Ausweg wäre dann eine geduldete Minderheitsregierung, die mit Rot, Grün und Blau wechselnde Mehrheiten suchen muss. Dazu bräuchten wir freilich eine Streit-Kultur, die uns in den letzten Jahrzehnten irgendwie abhandengekommen ist. Und in all diesen Dauerstreitereien meldet sich die Wirtschaft – allen voran der Mittelstand – zu Wort und beklagt, dass in Berlin die Einsicht immer noch nicht angekommen ist, einen dringenden Politikwechsel auch wirklich in Angriff zu nehmen. Der Mittelstand fühlt sich immer noch nicht gehört und schon gar nicht berücksichtigt. Für die „hart arbeitende Mitte“ findet sich wenig im Koalitionsvertrag, beklagen sie. Auch hier droht ein Streit, für den es „Fünf vor Zwölf“ eigentlich gar keine Zeit mehr gibt. Doch wir werden um die Wiedererlangung einer gesunden Streit-Kultur nicht herumkommen, sonst verharren wir weiter in unseren Meinungs-Burgen und verurteilen uns selbst zu dauerhaftem Stillstand.
von Heinz-Paul Bonn 7. April 2025
Es hätte auch die Hannover Messe der Klagen werden können angesichts der Gemengelage aus maroder Infrastruktur, Verunsicherung in der Wirtschaft, politischem Stillstand und einem erratischen US-Präsidenten, der die Welt mit Strafzöllen überzieht und einen globalen Handelskrieg vom Zaune bricht, während sein russisches Pendant im mittlerweile vierten Kriegsjahr die Ukraine zusammenbombt. Aber es wurde eine Industriemesse der Appelle an den gesunden Menschenverstand, an Mut und Zuversicht sowie an Initiative und Leistungsbereitschaft. Der geschäftsführende Bundeskanzler Olaf Scholz appellierte an die Vernunft, einen freien und fairen Welthandel zu erhalten, Christina Bilyk als Vertreterin des diesjährigen Partnerlandes Kanada appellierte an die Koalition der Willigen, nun enge Partnerschaften zwischen dem nördlichen US-Nachbarn und der Europäischen Union zu knüpfen, und VDMA-Präsident Bertram Kawlath fand die richtigen Worte, als er zu einer konzertierten Aktion aus Politik, Wirtschaft und Bevölkerung aufrief, um die industrielle Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Vergleich wieder zu steigern: „Deutschland ist aktuell mangels Orientierung wie gelähmt und diesen Zustand müssen wir ganz schnell beenden. Dazu bedarf es einer übergreifenden, konzertierten Aktion aller: Die Politik muss handeln, es braucht spürbare Reformen. Die Unternehmen müssen ihren Beitrag leisten und mutig den technologischen Wandel in den eigenen Häusern angehen. Und die Bevölkerung muss ihren Teil beitragen und wieder mehr Leistungsbereitschaft zeigen.“ Dabei gäbe es genug Anlass zum Lamentieren: Nach den Zahlen des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau ist die Industrieproduktion in Deutschland im vergangenen Jahr um 7,2 Prozent gesunken. Doch die Hannover Messe hat auch aufgezeigt, wie die deutsche Industrie aus diesem Tal der Tränen herausfinden kann: mit Hilfe von künstlicher Intelligenz für die Automation, das Management ganzer Lieferketten und nicht zuletzt für flexiblere und nachhaltigere Prozesse. Der VDMA selbst zeigte, wo es langgehen wird: Als Konsortialführer im Wissenstransferprojekt SCALE-MX sorgt der Verband dafür, dass der Erkenntnisgewinn aus der Initiative Manufacturing X (MX) möglichst breit gestreut wird. Die von der EU finanzierte Initiative Manufacturing X soll nicht nur KI-Prozesse in den Branchen Lebensmittel, Chemie, Pharma, Elektro, Auto- und Maschinenbau in konkreten Leuchtturmprojekten vorantreiben, sondern auch als Basis ein gemeinsames, offenes Datenökosystem schaffen, das mehr Souveränität in der Cloud ermöglichen soll. Aus Industrie 4.0 wird somit Plattform Industrie 4.0 – eine Koalition der KI-Willigen. Es ist, als hätten die Initiatoren 2024 schon vorausgeahnt, was unter einer Trump-Regierung aus Washington drohen könnte. Das Ziel, mehr Resilienz in den Lieferketten zu erreichen, wenn internationale Lieferbeziehungen fragil werden und alte Märkte wegbrechen können, stärkt sicherlich den Wirtschaftsstandort Deutschland in unsicheren Zeiten. Dass es um Daten und Arbeitsprozesse als zentraler Angriffspunkt für KI-Unterstützung geht, bewies auch Microsoft, das zu seinen Copiloten im Büro nun auch Assistenten für die Fertigungsebene vorstellte. Der „Factory Operations Agent“ soll Abläufe in der Fabrikhalle optimieren, indem die Statusdaten der Maschine in natürlicher Sprache abgefragt und analysiert werden können. So können Fehlerquellen identifiziert und schnell Entscheidungen über zu ändernde Fertigungsprozesse getroffen werden. Die KI-Agenten und Copiloten sind ein frappierendes Beispiel dafür, wie sich eine Company immer wieder neu erfinden kann. Im Jahr seines 50. Geburtstags *) definiert sich Microsoft längst nicht mehr als „Windows Company“, sondern als Marktführer für Artificial Intelligence. KI und die fortschreitende Automation von Produktion und Prozessen waren die Hauptthemen auf der Hannover Messe. Kaum ein Messestand der knapp 4000 Aussteller kam noch ohne Demopunkte für Künstliche Intelligenz aus. Beeindruckend war zum Beispiel, wie KI-Unterstützung Roboter beweglicher und „achtsamer“ macht. So waren Systeme zu sehen, die spontan ausweichen, wenn sich ein Mensch in den Arbeitsbereich bewegt. Andere KI-Systeme können über Maschinelles Lernen eigenständig auf veränderte Rahmenbedingungen reagieren und die Abläufe auf dem Shop Floor entsprechend anpassen. Wenn man eine gute Seite an der Investitionszurückhaltung in der deutschen Wirtschaft innerhalb der letzten Jahrzehnte finden wollte, es wäre die Chance, die vertane Zeit jetzt aufzuholen, indem in KI-Lösungen für die Industrieproduktion investiert wird. Denn während nach einer Umfrage des Hightech-Verbands Bitkom schon heute zwei von fünf Industrieunternehmen mit mehr als 100 Beschäftigen nach eigenen Angaben KI auf der Fertigungsebene einsetzen, planen 35 Prozent, mit KI-Projekten in diesem Jahr zu beginnen. Und die Koalition der KI-Willigen wächst weiter: 82 Prozent der Befragten sind überzeugt, dass Künstliche Intelligenz entscheidend ist für die Stärkung der deutschen Industrieproduktion. Aber gleichzeitig ist die Sorge groß, dass Deutschland auch diesen Zukunftstrend verschlafen könnte. Die Industriemesse in Hannover war deshalb auch ein Appell an die „schlafende Minderheit“, jetzt zur Koalition der KI-Willigen aufzuschließen. *) …und zum Abschluss hier erneut mein Glückwunsch an Microsoft zur Gründung am 4. April 1975: 50 Jahre Microsoft! Als Zeitzeuge und Wegbegleiter gratuliere ich mit Bewunderung und Respekt für Visionen, Partnerschaft und Innovation. Danke an @satyanadella und Team – weiter so!
von Heinz-Paul Bonn 31. März 2025
„Es sei aber Eure Rede: Ja, ja; nein, nein“, heißt es in der Bergpredigt laut Matthäus-Evangelium. Aber wann haben wir schon mal einen Politiker oder eine Politikerin auf eine konkrete Frage kurz und knapp antworten hören? Und noch nicht einmal Fußballer schaffen es, nach einem Spiel auf die gestellten Fragen einzugehen, stattdessen sondern sie irgendwie vorbereitete Statements ab. Selbst erfolgreiche Olympioniken sind kaum noch in der Lage, ihre Gefühle in Worte zu fassen und flüchten sich in mechanistische Sprechblasen wie „Ich habe das noch gar nicht so richtig realisiert.“ Aber das ist immerhin schon eine Ich-Botschaft, wenngleich auch eine in Abwehrhaltung. Von der Politiker-Riege erwarten wir schon gar nicht mehr, dass sie in den Parlamenten oder Palaver-Shows klare Ich-Botschaften verkünden. Denn wer einen Satz mit „Ich werde mich dafür einsetzen, dass…“ beginnt, begibt sich auf gefährliches Terrain. Die Wahrscheinlichkeit ist nämlich groß, dass dieses Versprechen schon wenige Tage später kassiert werden muss. Zuletzt geschehen mit der Aussage: „Mit mir / mit meiner Partei wird es eine Lockerung der Schuldenbremse nicht geben.“ Die Welt ist volatil und Wahrheiten verschwimmen mit frei erfundenen Narrativen. Und dort, wo diese Narrative aufeinanderprallen, in den allabendlichen Talkshows bei Maischberger, Illner, Miosga oder Lanz und andere, verhindern die Diskutanten durch permanentes Dazwischenreden, dass das jeweils anders klingende Narrativ zu Ende erzählt werden kann. Schlimmer noch: die Talkmaster und -mistresses lassen leider selbst ihre Gäste nicht mehr ausreden, weil sie ihr eigenes Narrativ platzieren wollen – und dabei changieren sie zwischen Besserwisserei und Schulmeisterei. Nach einem solchen Talk-Abend hat zwar jeder mit jedem gesprochen, aber keiner mit jemandem geredet. Oder anders ausgedrückt: Wir hören, aber wir hören nicht mehr zu. Sollte es tatsächlich so sein, dass in Sondierungsgesprächen, Koalitionsverhandlungen und danach am Kabinettstisch parteiübergreifend anders miteinander gesprochen wird? Sollten diese Diskussionen also tatsächlich „konstruktiv“ und „sachorientiert“, ja sogar „vertrauensvoll“ verlaufen? Wenn das so wäre, warum spielt man uns dann in der Öffentlichkeit diese jämmerlichen Schmierenkomödien vor. Sie sind doch der eigentliche Grund dafür, dass sich die Menschen von der Politikszene abwenden. Der Wähler verzeiht möglicherweise Fehlentscheidungen, aber er duldet dieses Fehlverhalten nicht länger. Stattdessen warten wir auf klare Ich-Botschaften, die uns aufzeigen, wofür Politiker heute noch stehen – und der Verdacht drängt sich auf, dass sie eigentlich für gar nichts mehr stehen als für den eigenen Machterhalt. Geradezu melancholisch denkt man an den verstorbenen Bundeskanzler Helmut Schmidt, der für die Durchsetzung des NATO-Doppelbeschluss seine eigene Karriere geopfert hat. Dabei hat er in der Rückschau im Schulterschluss mit den USA mit diesem Zeichen der Stärke die Voraussetzung für den Zusammenbruch der Sowjetunion und die Basis für die deutsche Wiedervereinigung gegossen. In Deutschland, in Europa wird sich auch nach den Milliarden-Spritzen, die sich die EU-Staaten jetzt setzen können, nichts ändern, wenn wir nicht wieder zu klaren Botschaften zurückfinden. Dazu braucht es Mut – auch den Mut zum Irrtum. Wie sagte Franz-Josef Strauß? „Ich liege lieber grob richtig als exakt falsch.“ Wir brauchen wieder klare Ich-Botschaften, die uns dabei helfen, unsere Ziele ins Auge zu fassen. Die Gefahr ist aber groß, dass ohne diese klaren Ziele das viele Geld, das jetzt freigeschlagen wurde, erneut für Klientelpolitik, staatliche Umverteilung und – vielleicht am allerschlimmsten – für noch mehr Bürokratiemonster ausgegeben wird. Was bisher aus den Koalitionsverhandlungen heraussickert, lässt jedenfalls nichts Gutes erwarten. Das jedenfalls ist meine Wahrnehmung nach endlosen Abenden mit Talkshows und Tagesthemen, die ich auch in dem Buch, das ich mir zu meinem anstehenden 80. Geburtstag schenke, weiter ausführen werde. Wer eine andere Wahrnehmung unserer heutigen Diskussions-Unkultur hat, kann sie mir gerne als Kommentar oder per Mail unter hpbonn@hpbonn.consulting zukommen lassen. Das Buch „Analog war gestern – die jetzt notwendige Verfassungsänderung!“ wird im Spät-Sommer erscheinen. Wer neugierig geworden ist, kann schon jetzt eine Subskription zeichnen. Den Link dazu gibt es hier.
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