Wenn wir etwas groß oder großartig nennen wollen, dann neigen wir zur Vorsilbe „mega“. Auf die Idee, etwas „kilo“ – also das Tausendfache – zu nennen sind wir nie gekommen. Auch das Milliardenfache – also „giga“ – hat es außer beim „Gigantismus“ nicht in unseren Sprachgebrauch gebracht. Ganz zu schweigen von Zetta oder Peta. Dabei sind wir längst in diesen Dimensionen angekommen. Doch die Eindrücke des soeben erlebten Konzerts von Taylor Swift „peta“ zu nennen, würde uns nicht einfallen – obwohl die Pop-Ikone längst zu den Milliardären gehört, also kein „Megastar“ ist, sondern ein „Gigastar“.
Unsere globale Infrastruktur misst sich längst nicht mehr nur in gängigen Größenordnungen: Allein in Deutschland fahren täglich 51.000 Züge für Personen und Güter auf dem etwas mehr als 38.000 Kilometer großen Schienennetz, das entspricht also 38 Megametern. Doch schon gegen das Straßennetz sieht die Schiene zwergenhaft aus: Mit rund 630 Megametern liegt das deutsche Straßennetz weltweit auf Platz 13. Für deren Erhalt wurden im vergangenen Jahr 8,4 Giga-Euro aufgewendet – zu wenig angesichts der maroden Brücken und Schlaglöcher im Asphalt. Spitzenreiter sind nicht überraschend die USA, deren Straßennetz 6,5 Gigameter beträgt, gefolgt von Indien mit 4,7 Gigametern.
Doch was ist das alles gegenüber unserer digitalen Infrastruktur. Allein zwischen 2010 und 2020 wuchs der jährliche Speicherbedarf für Daten von zwei auf 44 Zettabyte – das sind also 44 Billionen Gigabyte oder eine 44 mit 21 Nullen. Inzwischen hat sich der Speicherbedarf erneut verdoppelt. Und bis zum Jahr 2028 wird sich der Bedarf erneut mehr als verdoppelt haben - auf dann knapp 200 Zettabyte. Der größte Teil dieses Speicherbedarfs – und des damit verbundenen Rechenbedarfs – wird von rund 800 Großrechenzentren bedient. Die wenigsten dieser sogenannten Hyperscaler befinden sich in öffentlicher Hand. Die meisten stehen in den USA – sie repräsentieren etwa 40 Prozent des weltweiten Bedarfs an Computerleistung.
Man muss sich diese Größenordnungen verdeutlichen, um zu verstehen, wie umfassend der Paradigmenwechsel ist, der sich unmerklich, aber unaufhörlich im Ausbau und der Pflege unserer Infrastrukturnetze vollzogen hat. Während sich der Staat noch auf die hoheitlichen Aufgaben besinnt, unser Schienen-, Wasser- und Asphaltstraßen-Netz, sowie Elektrizitäts-, Gas-, Wasser- und Abwassernetz zu finanzieren, ist er bei der digitalen Infrastruktur nahezu außen vor. Der zögerliche, allmählich aber vollzogene Ausbau unseres Telekommunikationsnetzes mit Glasfaserkabeln zeigt allerdings, dass staatliche Organisationen auch nicht optimal ausgerichtet sind, um eine schnell wachsende Infrastruktur aufzubauen. Umgekehrt sollte uns der Niedergang der englischen Eisenbahnen auch davor warnen, alles der privaten Wirtschaft zu überlassen.
Aber wenn allein Microsoft – wie vielfach berichtet – 3,2 Milliarden Euro in deutsche Cloud-Rechenzentren investieren will, dann steht das schon in der gleichen Größenordnung wie die 8,4 Milliarden Euro, die die öffentliche Hand im vergangenen Jahr für das gesamte Straßennetz aufgewendet hat. Weltweit beläuft sich das derzeit kommunizierte Investment von Microsoft auf rund 50 Milliarden Dollar, wodurch Cloud- und KI-Infrastrukturen in den USA, in Europa, Südostasien und Ozeanien ausgebaut werden. Hinzu kommen geschätzte 100 Milliarden Dollar, die Microsoft und das KI-Startup OpenAI unter dem Projektnamen „Stargate“ in einen völlig neuen Supercomputer investieren wollen, der künftige KI-Entwicklungen beschleunigen soll. Plus die noch einmal in dieser Größenordnung geschätzten Aufwendungen für die Weiterentwicklung (und Marktreife) von Quantencomputern.
Und Microsoft ist bei weitem nicht allein: 87,9 Milliarden Dollar generiert Microsoft nach eigenem Geschäftsjahresbericht mit der Cloud. 90,8 Milliarden Dollar sind es laut deren Geschäftsjahresbericht bei Amazon. Die Google-Mutter Alphabet kommt nach ihren eigenen Zahlen auf 33 Milliarden Dollar. Gedeckt werden diese Umsatzzahlen durch weltweit steigenden Bedarf an Cloud-Diensten, die vom Handwerksbetrieb über mittelständische Unternehmen bis zum globalen Konzern nachgefragt werden. Und nicht zuletzt sind es die privaten Nutzer die mit ihren 5,1 Milliarden weltweit aktiven Smartphones-Accounts Cloud- und KI-Leistungen abrufen.
Und es sind die Millionen vernetzten Autos, die auf der durch private Anbieter voll ausgebauten Datenautobahn mit Navigationshilfe an den Staus vorbeifahren, die durch schlecht ausgebaute Straßen, marode Brücken oder ausgefallene Zugverbindungen entstehen. Wir leisten uns staatliche Misswirtschaft in den primären Hoheitsgebieten der Daseinsvorsorge, während gleichzeitig von den Ländern beauftragte Datenschützer vor der Vorherrschaft privater Tech-Anbieter in der digitalen Infrastruktur warnen. Und wir leisten uns eine Schuldenbremse, die unsere Kinder zwar vor neuen Schulden schützen soll, dabei aber genau jene Infrastrukturverbesserungen verhindert, die eigentlich die wirtschaftlichen Potentiale bieten könnte, mit denen dieser Schuldenberg auch wieder abgebaut werden könnte.
Wir müssen uns fragen: Wer spinnt unser Netz der Zukunft? Sind es die privaten Anbieter – dann könnten wir zuversichtlich sein, dass es gelingt. Sollte es die öffentliche Hand sein – dann beginnt die Zukunft wahrscheinlich erst später. Oder gelingt es uns, Finanzierung und Genehmigungsverfahren zu optimieren? Und könnte das nicht auch ebenso für die Energiewende gelten? Oder für den Kampf gegen den Klimawandel? Unser Straßen- und Schienennetz ist nun wirklich kein Empfehlungsschreiben für die öffentliche Hand. Die Erneuerung unserer Infrastrukturen – und erst recht ihr Ausbau – sind nicht Megaprojekte, sondern im wahrsten Sinne des Wortes giga-ntisch.