Forscherinnen und Forscher des Earth Species Project sind überzeugt: In spätestens 24 Monaten werden sie mit Hilfe von künstlicher Intelligenz in der Lage sein, Tierstimmen zu entschlüsseln. Das Projekt läuft bereits seit einem guten Jahrzehnt – doch erst jetzt kommt mit KI-Unterstützung eine ganz neue Qualität in die Sache. „Niemand ist bislang auf die Idee gekommen, Maschinen darauf zu trainieren, nicht-menschliche Kommunikation zu deuten“, sagt Aza Raskin, der das Projekt mitbegründet hat. Und er fügt reichlich philosophisch hinzu: „Man kann nichts verstehen, was man nicht erkennt.“
Das ist natürlich eine fundamentale Wahrheit, die für alles und jeden gilt. Aber sie gilt ganz besonders für den Umgang mit künstlicher Intelligenz: Es ist entscheidend für den Technologie- und Wirtschaftsstandort Deutschland, dass sich mehr Menschen mit dem Einsatz von KI, ihrer Funktionsweise, ihrem Nutzenpotenzial, ihren Risiken und ihren ethischen Komplikationen auseinandersetzen. Dass Microsoft im Rahmen seines Drei-Milliarden-Investments in Deutschland auch rund 1,2 Millionen Menschen in Sachen KI qualifizieren will, ist in den Medien meist nur einen Nebensatz wert. Tatsächlich dürfte dieser Teil des Projekts aber der Nachhaltigere sein, der sich auf die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands positiv auswirkt. Gleichzeitig ist es peinlich genug für das Bildungsland Deutschland, dass für eine solche Maßnahme die Hilfe eines US-Unternehmens in Anspruch genommen werden muss. Dabei sollte es kaum einen dringlicheren Bildungsauftrag geben.
Denn die Beispiele, in denen der Einsatz von künstlicher Intelligenz zu wissenschaftlichen Durchbrüchen, zu neuen Therapiemöglichkeiten oder zu mehr Qualität in der Produktion führt, finden sich täglich in den Nachrichten.
Dass KI dabei helfen kann, neue Wirkstoffe für neue Arzneimittel zu finden, ist ein vielgenanntes Beispiel. Dass Forschende aber mit Hilfe künstlicher Intelligenz neue Materialien für leistungsfähige Batterien aus 32 Millionen Kandidaten herausfiltern konnten und jetzt Alternativen für die gängigen, aber umweltschädlichen Lithium-Ionen-Batterien gefunden haben, zeigt die Wirkmächtigkeit von KI. Um den hohen Rechenaufwand überhaupt in absehbarer Zeit meistern zu können, wurde zusätzlich der über die Microsoft Azure-Plattform verfügbare Quantencomputer genutzt.
Deutlich praxisnäher ist die App des deutschen Startups PlanerAI, die Bäckereien dabei hilft, nicht nur die richtigen Mengen an Rohstoffen einzukaufen, sondern anhand der Absatzzahlen auch genauer prognostiziert, was und in welchen Mengen für den nächsten Tag produziert werden sollte.
Und während die Wetterstationen weltweit immer engmaschiger werden und Myriaden an Daten liefern, zeigt sich, dass angesichts des Klimawandels bestehende Wettermodelle nicht mehr ausreichen. Zudem lassen sich erhebliche Unterschiede im lokalen Wetter beobachten – beispielsweise bei Starkregen. KI-Systeme errechnen anhand unterschiedlicher Wettermodelle und auf der Basis der aktuellen Daten im Minutentakt neue Prognosen – und daran sind nicht nur Touristen interessiert, sondern mehr und mehr Risikoversicherer, Katastrophenschützer und Forscher.
Beispiele wie diese müssten eigentlich Ansporn genug sein, tiefer in Digitalen-Themen im Allgemeinen und den KI-Einsatz im Besonderen einzusteigen. Doch das Gegenteil ist der Fall wie eine aktuelle Vergleichsstudie zeigt. Danach verfügen nur 52 Prozent der Deutschen über grundlegende Digitalfähigkeiten. Im EU-Durchschnitt sind es 55 Prozent. Unter den Akademikern beträgt der Anteil der digital Qualifizierten in Deutschland zwar 72,2 Prozent. Er liegt aber noch deutlicher unter dem EU-Durchschnitt von 79,6 Prozent als in den Gruppen der Menschen mit einer nur geringen oder mittleren formalen Bildung.
Hoffen wir, dass die Deutschen ihr Qualifikationsprojekt schneller meistern als die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen im Earth Species Project. Es geht darum, bisher unbekannte Digital-Technologien zu erkennen, zu erkunden und dadurch zu verstehen. Auch wenn dahinter die wenig schmeichelhafte Erkenntnis stehen sollte, dass das Gejaule eines Hundes eigentlich das Gemaule eines Pubertisten ist: „Du hast mir gar nichts zu befehlen!“
Wir werden dank künstlicher Intelligenz noch so manchen Heureka-Moment erleben. – Vorausgesetzt, wir bereiten uns auf den verantwortungsvollen Umgang mit KI vor und nutzen diese Systeme nicht nur, um Emails für uns zu schreiben und bunte Bildchen zu produzieren. Es wird Zeit, verantwortungsvoll mit unserer Zukunft umzugehen.