In Dresden stellte sich Bundeskanzler Olaf Scholz am vergangenen Donnerstag den Fragen von Bürgern. In Sachsen ist das immer eine heikle Sache. Einer der Besucher steckte ihm einen Aufkleber zu, auf dem der Slogan „Diplomaten statt Granaten“ stand. Er solle ihn an die Grüne Außenministerin Annalena Baerbock übergeben, lautete die Forderung. Scholz konterte mit erhobener Faust, dies solle der Satz sein, „den wir gemeinsam skandieren Richtung Kreml nach Moskau."
Einen Tag später stellte sich der Bundeskanzler anlässlich der Handwerksmesse im Münchener Spitzengespräch der Deutschen Wirtschaft den Vertretern von BDI, BDA, DIHK und ZDH, die ihm zuvor ein Zehn-Punkte-Papier hatten zukommen lassen, dessen Forderungen sich pointiert folgendermaßen zusammenfassen lassen: „Taten statt Bürokraten“. Auf das Papier ging der deutsche Regierungschef nicht weiter ein, erhob auch nicht die Faust und sagte auch nicht, dies solle der Satz sein, „den wir gemeinsam skandieren Richtung Brüssel und Berlin."
Hätte er aber sagen können, denn genau so war das Papier gemeint. BDI-Präsident Siegfried Russwurm fasste die Fakten so zusammen: „In allen wesentlichen volkswirtschaftlichen Größen wird Deutschland nach hinten durchgereicht, ist am Tabellenende mindestens der Industrienationen. Damit darf es keine Zweifel mehr geben: Wir haben dringenden Handlungsbedarf, um die deutsche Wirtschaft im globalen Wettbewerb wieder nach vorne zu bringen."
Dabei hält Siegfried Russwurm zumindest einen Hemmschuh, der als Punkt 3 in das Zehn-Punkte-Papier Eingang fand, für kurzfristig lösbar: „Einfacher werden – Entbürokratisierung“. Während Bundeskanzler Scholz hier auf das auf den Weg gebrachte Bürokratieentlastungsgesetz verwies, sehen die Wirtschaftsverbände genau hier noch Nachbesserungsbedarf. „Bestehende Lasten – gerade bei den Berichts- und Nachweispflichten – müssen im Wege von Praxis-Checks identifiziert und abgebaut werden, neue Bürokratie muss systematisch vermieden und die Verwaltungsmodernisierung und -digitalisierung vorangetrieben werden.“ Doch die bisher eingereichten Vorschläge der Wirtschaft seien nicht berücksichtigt worden.
Stattdessen wird in Brüssel mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz gerade ein wahres Bürokratiemonster verhandelt, das gerade mittelständische Unternehmen zu immensen Mehrkosten durch zusätzlichen Verwaltungsaufwand zwingt. Und gleichzeitig harrt das Wachstumschancengesetz seiner Bestätigung durch den Bundesrat, wo es wegen der geforderten Rücknahme von Subventionskürzungen für die Landwirtschaft blockiert wird. „Aber selbst diesen Mini-Impuls kriegt Deutschland nicht hin. Das zeigt, dass die Bereitschaft, sich für Wirtschaft einzusetzen, insgesamt in der Regierung auf einem bedenklichen Niveau ist“, schimpfte DIHK-Präsident Peter Adrian beim Münchner Treffen.
Da klingt es geradezu grotesk, wenn sich beispielsweise die nordrhein-westfälische Landesregierung letzte Woche medienwirksam rühmt, dass in der Düsseldorfer Staatskanzlei nun nur noch ein Faxgerät in Betrieb sei und dies als ein deutliches Zeichen der wachsenden Digitalisierung in den Behörden zu interpretieren wäre. Dabei hatte die Landesregierung um Ministerpräsident Hendrik Wüst in den letzten Tagen ganz andere Erfolge in Sachen Digitalisierung vorzuweisen. Die geplante Ansiedlung von zwei, wenn nicht drei Cloud-Rechenzentren durch Microsoft, die 3,2 Milliarden Euro ins Land spülen, ist genauso ein Impuls für die deutsche Wirtschaft, wie ihn der laut britischem Economist „kranke Mann Europas“ benötigt. Denn schon werden rund um die Hyperscaler große Digitalparks geplant, in denen alle diejenigen innovativen Unternehmen unterkommen sollen, die eine herausragende Cloud-Unterstützung mit kurzen Signalzeiten benötigen: Startups, Spinoffs, Dienstleister, die mittelständische Industrie und Handwerker.
Doch dass dies überhaupt gelingen konnte, ist offensichtlich ein wahres Bürokratiewunder. Schon in diesem Jahr soll Baubeginn in Bedburg und Bergheim sein. Zweieinhalb Jahre lang haben kommunale Behörden, Landesentwicklungsgesellschaften und die zuständigen Landesministerien im Geheimen an dem Deal mit Microsoft gearbeitet. Nichts wurde durchgestochen, keine Bebauungsplanänderung blockiert, kein Planverfahren durch Behörden behindert. Es ist beruhigend, dass sowas in Deutschland noch geht.
Jetzt wird man sehen, ob die Microsoft-Geschwindigkeit zur neuen Deutschland-Geschwindigkeit werden kann. Noch ist kein Spatenstich getan, noch ist die begleitende Qualifizierungsinitiative nicht angelaufen. Es kann noch viel schiefgehen in einem Land, in dem mehr Bürokraten statt Taten zu finden sind.