Die Mitte dünnt aus

Heinz-Paul Bonn • 10. Juni 2024

24 Parteien standen in Deutschland zur Wahl für das Europaparlament. Zu den acht im Bundestagvertretenen Parteien (so viel übrigens wie noch nie), nämlich SPD, Grüne, FDP, CDU, CSU, Linke, BSW und AfD, also immerhin noch doppelt so viele Alternativen. Dabei waren Optionen genug, um den Protest gegen die von den etablierten Parteien getragenen Politikern und Politikerinnen zum Ausdruck zu bringen, deren vermeintliches Versagen im Vorfeld der Europawahl von so vielen in Fernsehdebatten und auf der Straße beklagt wurde, ohne dass gleich zu den Extremen am rechten und linken Rand gegriffen werden musste. Man hätte ja auch die Bienen retten (ödp), Bibelstunden fördern oder den Klamauk (Die Partei) ins Parlament tragen können…

Nun, es kam nicht so schlimm wie befürchtet, aber nicht so gut wie erhofft. Zwar hat die AfD mit 15,9 Prozent nach der Union die meisten Stimmen auf sich vereinen können (und ist im Osten sogar stärkste Kraft geworden), doch hatten die Prognosen ein deutlich stärkeres Abschneiden vermuten lassen. Die Union wird stärkste Partei (30,2 Prozent), während SPD und Grüne mit 14, beziehungsweise zwölf Prozent gerade noch zweistellig blieben. Die FDP (fünf Prozent) musste das BSW an sich vorbeiziehen lassen und wird wohl weiter in späteren Wahlen mit der Fünf-Prozent-Hürde ringen. Die Linken sind in die Bedeutungslosigkeit der Sonstigen abgefallen.

Dass die die Ampel-Regierung tragenden Parteien abgestraft werden würden, konnte niemanden überraschen. Zu zerstritten, ja zerrissen haben sich die Koalitionäre in der Vergangenheit gezeigt – und sind damit unfreiwillig ein Spiegelbild der gespaltenen Gesellschaft, deren Lager sich mehr und mehr unversöhnlich gegenüberstehen. Es sind beinahe amerikanische Verhältnisse auch in Deutschland zu beklagen.

Dass die Union zulegen würde, war ebenso erwartet worden – aber gleichzeitig muss sie deutliche Abwanderungsbewegungen in Richtung AfD zur Kenntnis nehmen. Die Sehnsucht nach mehr Wohlstand für alle wird von der Union bedient, obwohl gerade die Ampel die Umverteilung von oben nach unten betreibt. Doch in Krisenzeiten wählen die Deutschen traditionell die Mitte, beziehungsweise rechts von der Mitte. Wie weit rechts von der Mitte – das hat diese Europawahl nicht nur in Deutschland gezeigt: Die AfD profitierte laut Wählerwanderungs-Analyse im gleichen Maße von der Union wie von der SPD und der FDP. Die Mitte dünnt aus.

Und Krisenzeiten sind es in der Tat, in denen wir heutzutage wählen gehen: neben den von Russland und der Hamas angezettelten Kriegen zeigen gerade die aktuellen Hochwasserstände, wo unsere wesentlichen Nachhaltigkeitsherausforderungen liegen. Wehrhaft zu sein gegen innere und äußere Bedrohungen und gleichzeitig Vorkehrungen gegen Naturkatastrophen zu treffen – die Aufgaben werden uns über Jahrzehnte beschäftigen. Dass wir uns dabei umorientieren müssen und neben der Migrationswende, der Energiewende auch eine Mobilitätswende, eine Wende zu mehr Pflege und weniger Bürokratie hinbekommen müssen, ist jedem klar. Doch die Parteien, die darauf eine Antwort zu geben versuchen, werden dafür abgestraft. Die Bewegungen ohne substanzielle Programme bekommen hingegen Zulauf.

Am Ende zählt, was im Portemonnaie übrigbleibt – und dominiert die Wahlentscheidung. Egal ob „blühende Landschaften“, „Wohlstand für alle“, „sichere Rente“, „Aufbruch statt Abschwung“ oder „Leistung muss sich lohnen“ – die Wohlstandsversprechen der Wahlkämpfer lösen kein Wohlgefühl mehr aus. Wir sind gefangen in unserem eigenen Materialismus, in dem ein gesichertes Einkommen, eine verlässliche (wenn auch erneuerungsbedürftige) Infrastruktur nicht mehr ausreicht, um Zufriedenheit und – typisches deutsches Wort – Gemütlichkeit zu erzeugen. Zu viele sind enttäuscht von ihrem Leben und dem, was die Politik ihnen bietet, ohne konkret sagen zu können, was eigentlich besser werden muss. Gesehen wird nur noch das, was andere haben – oder vermeintlich wegnehmen.

Mario Cuomo, Sohn italienischer Einwanderer und langjähriger Gouverneur des US-Bundesstaates New York, hat in einer Grundsatzrede ( am Iona College 1984 ) als Antwort auf die „Reaganomics“ des US-Präsidenten Ronald Reagan die dunklen Seiten des Materialismus aufgezeigt, weil eben nicht alle gleichermaßen vom verheißenen Wohlstand profitierten und die Schere zwischen Arm und Reich sich im Gegenteil immer weiter öffnete. Er verglich das Amerika der Reagan-Ära mit der „Geschichte zweier Städte“ (Charles Dickens), in der die eine immer weiter prosperiert, die andere hingegen von Neid zerfressen immer radikaler wird. Es ist erstaunlich, wie hellsichtig er das heutige US-Amerika vorwegsah. Es bleibt zu hoffen, dass wir in Europa durch die Geschichte gewarnt sind – nicht nur durch unsere eigene Geschichte, sondern auch durch das warnende Beispiel aus den USA. Europa braucht Einigkeit in der Vielfalt. Was wir gewählt haben, sieht eher nach Abgrenzung und Zwietracht aus.



von Heinz-Paul Bonn 11. Mai 2025
Der eine benötigte vier Wahlgänge und sprach vom Frieden. Der andere brauchte zwei Wahlgänge und sprach davon, alles zu tun, um den Krieg in der Ukraine zu beenden. Die Wahl von Papst Leo XIV dauerte zwei Tage, was für ein Konklave ungewöhnlich schnell ist. Die Wahl von Bundeskanzler Friedrich Merz zog sich einen Tag hin – und die Welt spricht von einer Staatskrise. Krise? Welche Krise? Der Staat, in dem wir leben, hat ganz andere Krisen zu meistern, als die verpatzte Kanzlerwahl und dem damit unterstellten möglichen Reputationsverlust. Da ist eine massive Innovationskrise, die dazu führte, dass unser Land in den Weltranglisten ins Mittelmaß durchgereicht wurde. Da ist eine immer offenkundiger werdende Infrastrukturkrise, die unsere Wirtschaft und jeden Einzelnen tagtäglich behindert. Wir befinden uns inmitten einer Klima- und Energiekrise, in der für viele Betriebe wirtschaftliches Handeln kaum noch denkbar ist. Und wir befinden uns in einer Gestaltungskrise, die aus überbordender Bürokratie und ineffizienter Verwaltung erwächst. Das sind Staatskrisen! Doch die neue Bundesregierung war noch nicht vereidigt, da ging das Wort von der Staatskrise schon um, nachdem ein paar Abweichler – mutmaßlich aus Frustration darüber, bei der Ämtervergabe übergangen worden zu sein – im ersten Wahlgang dem Kandidaten ihre Zustimmung verweigerten. Wie stark unsere Demokratie und unser Grundgesetz sind, hat dann aber vielmehr die nachfolgende Änderung der Geschäftsordnung des Bundestags gezeigt, die durch die Unterstützung der Grünen und Linken möglich wurde. Danach kam alles wie geplant – nur um Stunden verspätet. Jetzt ist ein neuer Mann im Kanzleramt, der zwar über keine Erfahrung in der Führung eines politischen Amtes verfügt, dem man aber doch nachsagen darf, dass er Steherqualitäten hat und auch nach Niederlagen wieder aufsteht. Tatsächlich ist das eine Haltung, die uns weiterhelfen könnte. Die ersten hundert Stunden machten Mut. Beurteilt werden sollte er frühestens nach hundert Tagen. Und dann ist da dieser neue Papst, in Chicago geboren, dessen Wahl nun so wirkt, als sei das Konklave vor dem US-amerikanischen Präsidenten eingeknickt. Doch wer nun unter wem regieren wird, wird sich noch herausstellen – auch dazu braucht es eine Stillhaltepflicht. Eines aber ist sicher: der Augustiner Robert Francis Prevost hat schon jetzt Richtungspfeiler gesetzt: Mit dem Namen Leo stellt er sich in die Nachfolge von Leo XIII, dessen Sozialenzyklika die Hinwendung der katholischen Kirche aus der Isolation in die (sozial)politische Verantwortung nach der ersten industriellen Revolution eingeleitet hat. Leo XIV sieht sich in einer ähnlichen Situation: die industrielle Revolution durch künstliche Intelligenz, so sagte er, stelle eine neue Herausforderung für die soziale Frage – und die stehe ganz oben auf seiner Agenda. Aber auch er steht einem Staat vor, der von Krisen geschüttelt ist: Der zaghafte Reformkurs seines Vorgängers hat die Zerrissenheit zwischen Konservativen und Liberalen nur verstärkt – der Wunsch zur Umkehr hat das Konklave anfangs beeinflusst und damit andere Kandidaten favorisiert. Doch eine alte Weisheit im Vatikanstaat lautet: „Wer als Papst in das Konklave hineingeht, kommt als Kardinal wieder heraus.“ Robert Francis Prevost ist den umgekehrten Weg gegangen. Dabei dürfte ihm sein bisheriges Amt, das ihm die Personalverantwortung im Vatikan übertrug, geholfen haben, um als Brückenbauer zu wirken. Eine Eigenschaft, die der neue Bundeskanzler allerdings noch erwerben muss – vor allem in der Krise. 
von Heinz-Paul Bonn 5. Mai 2025
The world was briefly stunned when US President Donald Trump, with one of his first decrees in office, temporarily suspended military support, satellite reconnaissance, and communication infrastructure for Ukraine. Military experts wondered what would happen if this support were to be withdrawn for Europe as part of NATO. Even more concerning, European entrepreneurs began to ask themselves what they would do if Trump ordered his tech companies to stop offering their digital services in Europe. Such a scenario was—and still is—quite realistic in the context of trade disputes. If an actual trade war were to erupt between the USA and the EU, it is entirely conceivable that Europe could face a digital blackout if the opposing side were tempted to shut down the entire infrastructure provided in Europe by American high-tech companies. There is already a growing chorus in Europe advocating for more “digital sovereignty” and calling for an independent digital infrastructure based on cloud computing, artificial intelligence, and internet communication. Some state governments in Germany are even beginning to steer away from MAGA—which in this case does not stand for “Make America Great Again,” but for Microsoft, Amazon, Google, and Apple. “Should any government anywhere in the world issue an order forcing Microsoft to suspend or cease operations or support for our data centers in Europe, we will take legal action,” Microsoft President Brad Smith declared last Wednesday during a visit to Brussels—thereby signaling: We are the good guys. In any case, Microsoft deemed such a scenario “unlikely.” Yet, in view of the current “geopolitical volatility,” the unexpected is never far away. After all, a number of European regulations targeting digital conglomerates are a thorn in the side of the US President. These include digital taxes in EU countries such as France, as well as EU laws through which Brussels seeks to curb the market power of the tech giants. In the event of further escalation in the trade dispute with Trump, EU representatives fear that the US President might actually instruct US companies to withdraw from Europe. According to industry insiders like the German Digital Association Bitkom, European companies are heavily dependent on cloud services from the USA. And conversely, Microsoft generates a quarter of its revenue in Europe—and that share is expected to rise given anticipated investments in cloud computing and artificial intelligence. It is no wonder, therefore, that Brad Smith not only renewed his commitment to ensuring more computing power from hyperscalers in Germany and Europe—as is currently planned for the Rhenish lignite region—but is also negotiating a third location in the lignite area of Grevenbroich, west of North Rhine-Westphalia’s state capital Düsseldorf. The plan to boost Europe’s data center capacity by 40 percent could lead to 200 additional data centers and a multi-billion-dollar investment on the Old Continent. “As every citizen and every company, we do not always agree with every measure taken by every government,” Brad Smith diplomatically remarked. “But even if we have lost cases before European courts, Microsoft has long respected and complied with European laws.” For this reason, Brad Smith also reiterated in a globally noted blog post that legal action would be taken against any attempt by the US government to ban Microsoft’s engagement in Europe. The message is clear: We are the good guys! Microsoft points to its cooperation with SAP under the name Delos. SAP emphasizes that while the technology was adopted from Microsoft, the infrastructure entirely belongs to SAP. In France, Microsoft collaborates with Capgemini and Orange. This arrangement is reminiscent of a construct that Microsoft created in cooperation with Deutsche Telekom a decade ago. Back then, the Microsoft Cloud was essentially managed in trust by Deutsche Telekom. However, the product suffered from two problems: firstly, interest in cloud computing had not yet taken off, and secondly, although the solution was secure, it was also expensive. Microsoft is trying to distinguish itself positively from its competitors. For instance, Mark Zuckerberg strikes a very different tone when, in March in the Wall Street Journal, he called on the US government for “aggressive” support to avoid impending EU fines. And Apple, following a 500‑million‑dollar fine imposed by the EU, complained that it was “yet another example of the Commission unfairly targeting the company” and forcing it to give away technology for free. Microsoft’s Brad Smith, on the other hand, extends an olive branch to Europeans. He is seeking a transatlantic balancing act. After all, the message should not be misunderstood: We are, after all, the good guys!
von Heinz-Paul Bonn 4. Mai 2025
Die Welt war kurzzeitig in Schockstarre, als US-Präsident Donald Trump mit einem seiner ersten Dekrete im Amt vorübergehend die militärische Unterstützung, die Satelliten-Aufklärung und die Kommunikations-Infrastruktur für die Ukraine aussetzte. Was, so fragten sich Militärexperten, wenn diese Unterstützung im Rahmen der Nato auch für Europa wegfallen würde. Doch noch mehr Sorgen machten sich Unternehmer und Unternehmerinnen in Europa: Was tun, so mussten sie sich Fragen, wenn Trump es seinen Tech-Konzernen untersagen würde, ihre digitalen Dienste weiterhin in Europa anzubieten. Ein solches Szenario war und ist im Rahmen der Zollauseinandersetzungen durchaus realistisch. Sollte es tatsächlich zu einem Handelskrieg zwischen den USA und der EU kommen, dann wäre es durchaus denkbar, dass Europa dann ein Digitaler Blackout drohen könnte, wenn sich die Gegenseite dazu hinreißen ließe, die gesamte von US-amerikanischen Hightech-Unternehmen bereitgestellte Infrastruktur in Europa abzuschalten. Schon mehren sich die Stimmen in Europa, die mehr „digitale Souveränität“ empfehlen und eine eigenständige digitale Infrastruktur aus Cloud Computing, künstlicher Intelligenz und Internet-Kommunikation fordern. Und schon gibt es auch erste Landesregierungen in Deutschland, die den Weg weg von MAGA suchen – was in diesem Fall nicht bedeutet: Make America Great Again, sondern Microsoft, Amazon, Google und Apple. „Sollte eine Regierung irgendwo auf der Welt eine Anordnung erlassen, mit der sie Microsoft zwingen will, den Betrieb oder die Unterstützung für unsere Rechenzentren in Europa auszusetzen oder einzustellen, werden wir vor Gericht ziehen“, sagte Microsoft-Präsident Brad Smith am vergangenen Mittwoch bei einem Besuch in Brüssel – und signalisierte damit: Wir sind doch die Guten. Ohnedies bezeichnete Microsoft ein solches Szenario als „unwahrscheinlich“. Doch unverhofft kommt oft angesichts der derzeitigen „geopolitischen Volatilität“. Denn eine Reihe europäischer Regeln für Digitalkonzerne sind dem US-Präsidenten ein Dorn im Auge. Darunter sind etwa die Digitalsteuern in EU-Ländern wie Frankreich, sowie EU-Gesetze, mit denen Brüssel die Marktmacht der Tech-Giganten einschränken will. Für den Fall einer weiteren Eskalation im Handelsstreit mit Trump befürchten EU-Vertreter deshalb durchaus, der US-Präsident könnte US-Konzerne anweisen, sich aus Europa zurückzuziehen. Nach Einschätzung von Branchenvertretern wie dem deutschen Digitalverband Bitkom sind EU-Unternehmen stark auf Cloud-Dienste aus den USA angewiesen. Und umgekehrt: Ein Viertel seines Umsatzes generiert Microsoft in Europa – und das angesichts der zu erwartenden Investitionen in Cloud Computing und künstlicher Intelligenz sogar mit steigender Tendenz. Kein Wunder also, dass Brad Smith nicht nur das Commitment erneuert, in Deutschland und in Europa weiterhin für mehr Rechenleistung aus Hyperscalern Sorge zu tragen, wie sie gerade im Rheinischen Braunkohlerevier geplant sind. Auch ein dritter Standort im Braunkohle-Standort Grevenbroich, westlich der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt Düsseldorf wird gerade verhandelt. Der Plan, die Rechenzentrumsleistung in Europa um 40 Prozent aufzustocken, könnte in 200 weitere Rechenzentren münden und in eine mehrere Milliarden Dollar Investition auf dem Alten Kontinent. „Wie jeder Bürger und jedes Unternehmen sind auch wir nicht immer mit jeder Maßnahme jeder Regierung einverstanden“, formulierte Brad Smith diplomatisch. „Aber selbst wenn wir Fälle vor Europäischen Gerichtshöfen verloren haben, hat Microsoft seit Langem die europäischen Gesetze respektiert und befolgt.“ Deshalb kündigte Brad Smith auch erneut in einem weltweit beachteten Blogbeitrag an, dass man gegen ein mögliches Ansinnen der US-Regierung, Microsoft das Engagement in Europa zu verbieten, gerichtlich vorgehen würde. Das Signal ist nicht zu überhören. Wir sind doch die Guten! Microsoft verweist auf seine Kooperation mit SAP unter dem Namen Delos. SAP betont, dass die Technologie von Microsoft übernommen wurde, die Infrastruktur aber komplett SAP gehöre. In Frankreich kooperiert Microsoft mit Capgemini und Orange. Das ganze erinnert an ein Konstrukt, das Microsoft vor einem Jahrzehnt in Zusammenarbeit mit der Deutschen Telekom geschaffen hatte. Damals wurde die Microsoft-Cloud quasi in Treuhand von der Deutschen Telekom verwaltet. Das Produkt krankte allerdings an zwei Problemen: erstens war das Interesse an Cloud Computing noch nicht entflammt und zweitens war die Lösung zwar sicher, aber auch teuer. Microsoft versucht, sich positiv vom Wettbewerb abzuheben. Mark Zuckerberg etwa schlägt ganz andere Töne an, wenn er im März im Wall Street Journal die US-Regierung um „aggressive“ Unterstützung bittet, um drohenden EU-Strafen zu entgehen. Und Apple klagt nach der verhängten Strafe in Höhe von 500 Millionen Dollar durch die EU, über ein „weiteres Beispiel dafür, dass die Kommission das Unternehmen in unfairer Weise ins Visier“ nehme und zwinge, Technologie kostenlos abzugeben. Microsofts Brad Smith hingegen zeigt den Europäern die offene Hand. Er sucht einen transatlantischen Spagat. Denn die Botschaft soll nicht missverstanden werden: Wir sind doch die Guten.
von Heinz-Paul Bonn 28. April 2025
Die mutmaßliche neue Bundesregierung verspricht, was schon ihre drei Vorgängerinnen versprochen haben: Bürokratieabbau. Allerdings sind sowohl die Ampel als auch die vorherigen Merkel-Regierungen daran gescheitert, dieses Versprechen einzulösen. Im Gegenteil: die Zahl der neuen Gesetze ist jeweils gestiegen. Das liegt auch an der Brüsseler beziehungsweise Straßburger Regulierungssucht, wo EU-Kommission und EU-Parlament den Eindruck erwecken, dass die eigene Existenzberechtigung vor allem durch immer neue Bürokratieauflagen untermauert werden soll. Zugegeben, nicht jeder Verwaltungsaufwand ist zugleich auch unnütz. Aber neben Dokumentations- und Informationspflichten sowie dem Ausfüllen von Formularen für Steuer- und Sozialversicherungsbehörden summiert sich doch die Zeit, die Unternehmen für die Befolgung von Gesetzen und Regeln zum Beispiel beim Datenschutz, im Arbeitsrecht, im Umweltschutz oder bei technischen Mindeststandards aufwenden müssen erheblich. Und Aufbewahrungsfristen, Nachweispflichten oder die Tatsache, dass immer noch zu wenig Geschäftsvorfälle mit den Behörden digital und unterbrechungsfrei ablaufen, führen zu Frustration und unnötiger Arbeitsbelastung. Rund 1,5 Milliarden Arbeitsstunden wenden die rund 3,8 Millionen Beschäftigten in mittelständischen Unternehmen pro Jahr für bürokratische Aktivitäten auf, hat jetzt die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) in ihrem Mittelstandspanel ermittelt. Dazu befragte sie rund 10.000 Unternehmen in Deutschland nach ihrer Einschätzung. Der Gesamtwert dieses Arbeitsaufwands entspricht nach KfW-Berechnungen einem Wert von 61 Milliarden Euro an entgangenem Umsatz. Nicht eingerechnet sind dabei Sachkosten – wie etwa die Kilometer an Aktenordnern, die sich in den rund drei Millionen mittelständischen Unternehmen ansammeln. Und ebenfalls nicht berücksichtigt wurden schwer quantifizierbare „psychologische Kosten im Umgang mit Bürokratie“, wie es KfW-Mittelstandexperte Michael Schwarz formulierte, die durch langwierige Planungs- und Genehmigungsverfahren, schlechte Behördenerreichbarkeit oder die strittige Auslegung von Vorschriften entstehen können. Gegenüber der KfW nennen denn auch mittelständische Unternehmerinnen und Unternehmer diese Belastung die größte Herausforderung – größer als Energiekosten, Steuerlast oder Zollstreitigkeiten. Dass sich an diesen Rahmenbedingungen jedoch zügig etwas ändert, ist kaum zu erwarten. Laut Koalitionsvertrag, der sich gegenwärtig in der Prüfung durch die Parteien befindet, ist nicht vor dem Ende dieses Jahres mit Milderung zu rechnen. Wer jetzt schnell den Bürokratiekosten entgehen will, sollte deshalb prüfen, was sich an den Verwaltungspflichten automatisieren lässt. Der möglicherweise schnellste und vielleicht sicherste Weg aus dem Bürokratiedilemma führt über den Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Mit KI gegen den Ko? Knapp 60 Prozent der Unternehmen glauben, dass ihnen KI bei der Bewältigung bürokratischer Lasten helfen wird, hat die DZ Bank in einer Mittelstandsbefragung ermittelt. Vor allem die Baubranche, die nach dem KfW-Mittelstandspanel zusammen mit Soloselbständigen am stärksten unter der Bürokratielast ächzt, erwartet in Planungs- und Genehmigungsverfahren Entlastung durch KI. Im Rechnungswesen, bei der Steuerklärung oder in der Dokumentation von Arbeitsschritten soll KI die gesetzlichen Anforderungen umsetzen. In einer ersten Analyse wurden beispielsweise 6000 Gesetzestexte durchgesehen, um das Automatisierungspotential zu ermitteln. Und offensichtlich reagiert der Mittelstand auch unmittelbar auf der Kostenseite auf die mögliche Entlastung durch KI. Gut jedes fünfte von der Wirtschaftsauskunftei Creditreform befragte Unternehmen hat seinen Personalbestand verkleinert. Laut Frühjahrsumfrage 2025 unter 1200 Unternehmen, hat nur jeder siebte Arbeitgeberin den letzten zwölf Monaten das Personal aufgestockt. Damit überwiegt im zweiten Jahr in Folge der Stellenabbau einen Personalaufbau. Wieder ist es das Baugewerbe, das allen voran Stellen streicht. Natürlich ist der Bürokratiedruck nicht die einzige Ursache für diesen Rückgang. Aber Automatisierung durch KI macht den Stellenabbau ohne Produktivitätsverlust möglich. Das belastet den Arbeitsmarkt. Aber ohne KI wäre manches Unternehmen schon jetzt Ko. Deshalb gilt für den Mittelstand 2025: Weniger Aktenordner, mehr Möglichkeiten. Weniger Warteschleifen, mehr Fortschritt. Weniger Ko, mehr KI.
von Heinz-Paul Bonn 20. April 2025
Nun ist es passiert: Carsten Linnemann wirft quasi hin! Seine offizielle Begründung, er wolle die Wiederaufrichtung der CDU vollenden, klingt gut, entspricht aber wohl nicht der ganzen Wahrheit. Tatsache ist nämlich, dass das ihm zugedachte Wirtschaftsministerium so stark beschnitten ist, dass sich daraus nur schwer richtungsweisende Veränderungen durchsetzen lassen könnten. Denn bei praktisch allen Initiativen, die jetzt wichtig und dringend sind, müsste der neue Wirtschaftsminister von Pontius zu Pilatus laufen, um sich Unterstützung aus dem Ministerkollegium zu holen: die Sozialausgaben werden im Arbeitsministerium verwaltet, Maßnahmen zur Ankurbelung der Konjunktur liegen in der Obhut des Finanzministeriums und Programme gegen den Klimawandel sind wieder im Umweltministerium verortet – alles Ressorts übrigens, die aller Voraussicht nach künftig von Sozialdemokraten geführt werden. Bliebe es dabei, wäre das Wirtschaftsministerium nur noch ein Schrumpfministerium. Kaum zu glauben, dass eine der wichtigsten Aufgaben der neuen Bundesregierung derart zur Nebensache herabgewürdigt wird. Carsten Linnemann jedenfalls hatte auf so etwas wie ein Superministerium spekuliert, das mit großen Vollmachten ausgestattet wäre. Und nichts erwartet die Wirtschaft, allen voran der Mittelstand, sehnlicher als eine verlässliche Wirtschaftspolitik, bei der auch geschieht, was angekündigt wird. Dafür gibt es dem Vernehmen nach künftig ein Digitalministerium. Endlich! möchte man ausrufen. Doch dem droht offensichtlich das gleiche Schicksal wie dem Wirtschaftsressort: statt Richtlinienkompetenz zu erhalten, wird der Amtsinhaber oder die Amtsinhaberin wohl eher jedem anderen Minister hinterherlaufen müssen: bei der Sicherheit dem Innenministerium, bei der Digitalisierung der Wirtschaft einem verkappten Wirtschaftsministerium (siehe oben), beim Ausbau der Schulen und Universitäten dem Bildungsministerium, bei der Infrastruktur dem Verkehrsministerium und bei der elektronischen Gesundheitsakte dem Gesundheitsministerium. Beim ebenso drängenden Bürokratieabbau, der ohne Digitalisierung nicht glücken wird, müsste der oder die Digitalverantwortliche ohnehin jedem nachlaufen. Die beiden vielleicht wichtigsten Aufgaben der Bundesregierung sind in ihrem Zuschnitt schon jetzt wenn nicht zum Scheitern verurteilt, so doch in ihrer Effizienz und Kompetenz stark eingeschränkt. Dabei wäre ein Superministerium für Digitales und Wirtschaft jetzt der geeignetste Hebel, um die Unternehmen in Deutschland wieder in Schwung zu bringen. Aber vielleicht reißt der künftige Bundeskanzler auch beide Ressorts an sich und verortet sie im Kanzleramt. Dann bekäme Führung, wer Führung bestellt. Doch die Prioritäten scheinen anders gesetzt. Im Vorgriff auf sein angestrebtes Amt reist Friedrich Merz durch Europa, um sich mit amtierenden Regierungschefs über eine gemeinsame Migrationspolitik abzustimmen. Dabei wäre doch das wahre Top-Thema die Erstarkung der größten Wirtschaftsnation in Europa und damit die Erstarkung von Europa selbst – erst recht angesichts der drohenden Handels-Händel mit den USA und mit der Volksrepublik China. Immerhin sehen die offiziellen Verbandsvertreter für den Mittelstand, in ihrer Lobbyarbeit auf eine positive Grundstimmung bedacht viel Schönes im Koalitionspapier. Sie loben, dass Betriebe in den kommenden Jahren einen höheren Prozentsatz ihrer Investitionskosten steuerlich abschreiben können. Die Folge soll ein "Investitions-Booster" sein, den die deutsche Wirtschaft in der Tat dringend braucht. Und wenn auch die Körperschaftssteuer erst 2028 sinken solle – ein Schritt in die richtige Richtung wäre auch das. Auch die Stromsteuer soll auf den in der EU erlaubten Mindestwert reduziert werden. Gleiches gilt für die Netzentgelte. Und für energieintensive Produktionen soll ein niedrigerer Industriestrompreis gelten. Aber reicht das? Es sind schwierige Zeiten, wie es sie lange nicht gab. Die Amtsübernahme im Bundeskanzleramt steht im Schatten von wirkmächtigen inneren und äußeren Bedrohungen. Es braucht wirkmächtige Maßnahmen, um ihnen erfolgreich zu begegnen. Ein Superministerium für Digitales und Wirtschaft wäre ein Schritt, der sofort greifen könnte.
14. April 2025
Da ist es wieder zurück – das böse Wort vom Dauerstreit, das die drei Jahre Ampel-Koalition begleitet hat wie ein Kaugummi unter der Schuhsohle. In einem Interview mit dem Handelsblatt erzählt Friedrich Merz, wie die Koalitionsverhandlungen, die ihm die Kanzlerschaft einbringen sollen, Anfang vergangener Woche auf der Kippe standen. Eine „kritische Phase“ habe sich ergeben, als die SPD-Vertreter auf Steuererhöhungen gedrängt haben. „Einen Koalitionsvertrag mit Steuerhöhungen, den könnt ihr haben. Aber meine Unterschrift wird er dann nicht bekommen.“ Die Selbstauskunft über das Basta-Wort hat Merz wohl auch deshalb selbst gegeben, weil er beweisen will und muss, dass er Kanzler kann. Und zum Wochenende setzte Merz noch einen nach: Im Gespräch mit der Bild am Sonntag widersprach er der Einschätzung des SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil, die Senkung der Einkommenssteuer für kleine und mittlere Einkommen sei ebenso beschlossene Sache wie die Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro. Das alles stünde unter Finanzierungsvorbehalt, ließ er wissen. Es habe darüber „Meinungsverschiedenheiten“ gegeben. „Deswegen haben wir es offengelassen“, erklärte der CDU-Chef. Das ist Streit, aber ist es auch Kultur? Merz wagt diese Klarstellung kurz vor dem Tag, an dem die Mitgliederbefragung in der SPD zur Zustimmung oder Ablehnung des Koalitionsvertrags startet. Dieser Finanzierungsvorbehalt ist in der Tat die steilste und brisanteste Textstelle im gesamten Vertragswerk. Denn sie gibt Gelegenheit, vermeintlich Vereinbartes später wieder auszuhebeln und sich folglich dauerhaft zu zerstreiten. Nicht auszudenken, wenn die sozialdemokratische Basis jetzt zurückschreckt. Ist es inzwischen das Wesen einer aus drei Parteien zusammengesetzten Koalition, im Dauerstreit zu verharren? Oder ist es inzwischen doch eher so, dass wir uns in unseren Meinungs-Burgen verschanzen und uns jeden Kompromiss in Dauerstreitigkeiten abringen lassen. Doch Demokratie lebt eben nicht von der Durchsetzung der vermeintlich besten Lösung, sondern von der Findung eines tragfähigen Kompromisses. Haben wir das verlernt? Wann haben wir die Streit-Kultur verloren? Überall auf der Welt regt sich die Sehnsucht nach einem Erlöser, der durchregiert, einfache Antworten auf eine komplexe Gemengelage verspricht und dabei so tut, als wolle er (oder sie) das Beste für die Anhängerschaft – doch bei genauem Hinsehen entpuppen sich diese Populisten als gewiefte Kleptokraten, die Börsen beeinflussen, Deals eintüten und vor allem in die eigene Tasche zu wirtschaften scheinen. Davon sind wir in Deutschland noch weit entfernt. Aber der wachsende Verdruss über dauerstreitende Politiker schürt die Sehnsucht nach einer einfachen und populären Lösung – egal auf wessen Kosten. Schon teilen sich die Deutschen laut einer aktuellen Abstimmung im Umfrage-Portal Civey ziemlich genau in zwei gleich große Lager derer, die die Union auffordern, die Brandmauer gegenüber einer Zusammenarbeit mit der AfD niederzureißen, und denjenigen, die genau das für den nächsten Sündenfall von Friedrich Merz halten. Die Befürworter, die „Die Mauer muss weg!“ rufen, argumentieren, nur so könne sich die Union aus dem Würgegriff der Sozialdemokraten befreien. Der Ausweg wäre dann eine geduldete Minderheitsregierung, die mit Rot, Grün und Blau wechselnde Mehrheiten suchen muss. Dazu bräuchten wir freilich eine Streit-Kultur, die uns in den letzten Jahrzehnten irgendwie abhandengekommen ist. Und in all diesen Dauerstreitereien meldet sich die Wirtschaft – allen voran der Mittelstand – zu Wort und beklagt, dass in Berlin die Einsicht immer noch nicht angekommen ist, einen dringenden Politikwechsel auch wirklich in Angriff zu nehmen. Der Mittelstand fühlt sich immer noch nicht gehört und schon gar nicht berücksichtigt. Für die „hart arbeitende Mitte“ findet sich wenig im Koalitionsvertrag, beklagen sie. Auch hier droht ein Streit, für den es „Fünf vor Zwölf“ eigentlich gar keine Zeit mehr gibt. Doch wir werden um die Wiedererlangung einer gesunden Streit-Kultur nicht herumkommen, sonst verharren wir weiter in unseren Meinungs-Burgen und verurteilen uns selbst zu dauerhaftem Stillstand.
von Heinz-Paul Bonn 7. April 2025
Es hätte auch die Hannover Messe der Klagen werden können angesichts der Gemengelage aus maroder Infrastruktur, Verunsicherung in der Wirtschaft, politischem Stillstand und einem erratischen US-Präsidenten, der die Welt mit Strafzöllen überzieht und einen globalen Handelskrieg vom Zaune bricht, während sein russisches Pendant im mittlerweile vierten Kriegsjahr die Ukraine zusammenbombt. Aber es wurde eine Industriemesse der Appelle an den gesunden Menschenverstand, an Mut und Zuversicht sowie an Initiative und Leistungsbereitschaft. Der geschäftsführende Bundeskanzler Olaf Scholz appellierte an die Vernunft, einen freien und fairen Welthandel zu erhalten, Christina Bilyk als Vertreterin des diesjährigen Partnerlandes Kanada appellierte an die Koalition der Willigen, nun enge Partnerschaften zwischen dem nördlichen US-Nachbarn und der Europäischen Union zu knüpfen, und VDMA-Präsident Bertram Kawlath fand die richtigen Worte, als er zu einer konzertierten Aktion aus Politik, Wirtschaft und Bevölkerung aufrief, um die industrielle Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Vergleich wieder zu steigern: „Deutschland ist aktuell mangels Orientierung wie gelähmt und diesen Zustand müssen wir ganz schnell beenden. Dazu bedarf es einer übergreifenden, konzertierten Aktion aller: Die Politik muss handeln, es braucht spürbare Reformen. Die Unternehmen müssen ihren Beitrag leisten und mutig den technologischen Wandel in den eigenen Häusern angehen. Und die Bevölkerung muss ihren Teil beitragen und wieder mehr Leistungsbereitschaft zeigen.“ Dabei gäbe es genug Anlass zum Lamentieren: Nach den Zahlen des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau ist die Industrieproduktion in Deutschland im vergangenen Jahr um 7,2 Prozent gesunken. Doch die Hannover Messe hat auch aufgezeigt, wie die deutsche Industrie aus diesem Tal der Tränen herausfinden kann: mit Hilfe von künstlicher Intelligenz für die Automation, das Management ganzer Lieferketten und nicht zuletzt für flexiblere und nachhaltigere Prozesse. Der VDMA selbst zeigte, wo es langgehen wird: Als Konsortialführer im Wissenstransferprojekt SCALE-MX sorgt der Verband dafür, dass der Erkenntnisgewinn aus der Initiative Manufacturing X (MX) möglichst breit gestreut wird. Die von der EU finanzierte Initiative Manufacturing X soll nicht nur KI-Prozesse in den Branchen Lebensmittel, Chemie, Pharma, Elektro, Auto- und Maschinenbau in konkreten Leuchtturmprojekten vorantreiben, sondern auch als Basis ein gemeinsames, offenes Datenökosystem schaffen, das mehr Souveränität in der Cloud ermöglichen soll. Aus Industrie 4.0 wird somit Plattform Industrie 4.0 – eine Koalition der KI-Willigen. Es ist, als hätten die Initiatoren 2024 schon vorausgeahnt, was unter einer Trump-Regierung aus Washington drohen könnte. Das Ziel, mehr Resilienz in den Lieferketten zu erreichen, wenn internationale Lieferbeziehungen fragil werden und alte Märkte wegbrechen können, stärkt sicherlich den Wirtschaftsstandort Deutschland in unsicheren Zeiten. Dass es um Daten und Arbeitsprozesse als zentraler Angriffspunkt für KI-Unterstützung geht, bewies auch Microsoft, das zu seinen Copiloten im Büro nun auch Assistenten für die Fertigungsebene vorstellte. Der „Factory Operations Agent“ soll Abläufe in der Fabrikhalle optimieren, indem die Statusdaten der Maschine in natürlicher Sprache abgefragt und analysiert werden können. So können Fehlerquellen identifiziert und schnell Entscheidungen über zu ändernde Fertigungsprozesse getroffen werden. Die KI-Agenten und Copiloten sind ein frappierendes Beispiel dafür, wie sich eine Company immer wieder neu erfinden kann. Im Jahr seines 50. Geburtstags *) definiert sich Microsoft längst nicht mehr als „Windows Company“, sondern als Marktführer für Artificial Intelligence. KI und die fortschreitende Automation von Produktion und Prozessen waren die Hauptthemen auf der Hannover Messe. Kaum ein Messestand der knapp 4000 Aussteller kam noch ohne Demopunkte für Künstliche Intelligenz aus. Beeindruckend war zum Beispiel, wie KI-Unterstützung Roboter beweglicher und „achtsamer“ macht. So waren Systeme zu sehen, die spontan ausweichen, wenn sich ein Mensch in den Arbeitsbereich bewegt. Andere KI-Systeme können über Maschinelles Lernen eigenständig auf veränderte Rahmenbedingungen reagieren und die Abläufe auf dem Shop Floor entsprechend anpassen. Wenn man eine gute Seite an der Investitionszurückhaltung in der deutschen Wirtschaft innerhalb der letzten Jahrzehnte finden wollte, es wäre die Chance, die vertane Zeit jetzt aufzuholen, indem in KI-Lösungen für die Industrieproduktion investiert wird. Denn während nach einer Umfrage des Hightech-Verbands Bitkom schon heute zwei von fünf Industrieunternehmen mit mehr als 100 Beschäftigen nach eigenen Angaben KI auf der Fertigungsebene einsetzen, planen 35 Prozent, mit KI-Projekten in diesem Jahr zu beginnen. Und die Koalition der KI-Willigen wächst weiter: 82 Prozent der Befragten sind überzeugt, dass Künstliche Intelligenz entscheidend ist für die Stärkung der deutschen Industrieproduktion. Aber gleichzeitig ist die Sorge groß, dass Deutschland auch diesen Zukunftstrend verschlafen könnte. Die Industriemesse in Hannover war deshalb auch ein Appell an die „schlafende Minderheit“, jetzt zur Koalition der KI-Willigen aufzuschließen. *) …und zum Abschluss hier erneut mein Glückwunsch an Microsoft zur Gründung am 4. April 1975: 50 Jahre Microsoft! Als Zeitzeuge und Wegbegleiter gratuliere ich mit Bewunderung und Respekt für Visionen, Partnerschaft und Innovation. Danke an @satyanadella und Team – weiter so!
von Heinz-Paul Bonn 31. März 2025
„Es sei aber Eure Rede: Ja, ja; nein, nein“, heißt es in der Bergpredigt laut Matthäus-Evangelium. Aber wann haben wir schon mal einen Politiker oder eine Politikerin auf eine konkrete Frage kurz und knapp antworten hören? Und noch nicht einmal Fußballer schaffen es, nach einem Spiel auf die gestellten Fragen einzugehen, stattdessen sondern sie irgendwie vorbereitete Statements ab. Selbst erfolgreiche Olympioniken sind kaum noch in der Lage, ihre Gefühle in Worte zu fassen und flüchten sich in mechanistische Sprechblasen wie „Ich habe das noch gar nicht so richtig realisiert.“ Aber das ist immerhin schon eine Ich-Botschaft, wenngleich auch eine in Abwehrhaltung. Von der Politiker-Riege erwarten wir schon gar nicht mehr, dass sie in den Parlamenten oder Palaver-Shows klare Ich-Botschaften verkünden. Denn wer einen Satz mit „Ich werde mich dafür einsetzen, dass…“ beginnt, begibt sich auf gefährliches Terrain. Die Wahrscheinlichkeit ist nämlich groß, dass dieses Versprechen schon wenige Tage später kassiert werden muss. Zuletzt geschehen mit der Aussage: „Mit mir / mit meiner Partei wird es eine Lockerung der Schuldenbremse nicht geben.“ Die Welt ist volatil und Wahrheiten verschwimmen mit frei erfundenen Narrativen. Und dort, wo diese Narrative aufeinanderprallen, in den allabendlichen Talkshows bei Maischberger, Illner, Miosga oder Lanz und andere, verhindern die Diskutanten durch permanentes Dazwischenreden, dass das jeweils anders klingende Narrativ zu Ende erzählt werden kann. Schlimmer noch: die Talkmaster und -mistresses lassen leider selbst ihre Gäste nicht mehr ausreden, weil sie ihr eigenes Narrativ platzieren wollen – und dabei changieren sie zwischen Besserwisserei und Schulmeisterei. Nach einem solchen Talk-Abend hat zwar jeder mit jedem gesprochen, aber keiner mit jemandem geredet. Oder anders ausgedrückt: Wir hören, aber wir hören nicht mehr zu. Sollte es tatsächlich so sein, dass in Sondierungsgesprächen, Koalitionsverhandlungen und danach am Kabinettstisch parteiübergreifend anders miteinander gesprochen wird? Sollten diese Diskussionen also tatsächlich „konstruktiv“ und „sachorientiert“, ja sogar „vertrauensvoll“ verlaufen? Wenn das so wäre, warum spielt man uns dann in der Öffentlichkeit diese jämmerlichen Schmierenkomödien vor. Sie sind doch der eigentliche Grund dafür, dass sich die Menschen von der Politikszene abwenden. Der Wähler verzeiht möglicherweise Fehlentscheidungen, aber er duldet dieses Fehlverhalten nicht länger. Stattdessen warten wir auf klare Ich-Botschaften, die uns aufzeigen, wofür Politiker heute noch stehen – und der Verdacht drängt sich auf, dass sie eigentlich für gar nichts mehr stehen als für den eigenen Machterhalt. Geradezu melancholisch denkt man an den verstorbenen Bundeskanzler Helmut Schmidt, der für die Durchsetzung des NATO-Doppelbeschluss seine eigene Karriere geopfert hat. Dabei hat er in der Rückschau im Schulterschluss mit den USA mit diesem Zeichen der Stärke die Voraussetzung für den Zusammenbruch der Sowjetunion und die Basis für die deutsche Wiedervereinigung gegossen. In Deutschland, in Europa wird sich auch nach den Milliarden-Spritzen, die sich die EU-Staaten jetzt setzen können, nichts ändern, wenn wir nicht wieder zu klaren Botschaften zurückfinden. Dazu braucht es Mut – auch den Mut zum Irrtum. Wie sagte Franz-Josef Strauß? „Ich liege lieber grob richtig als exakt falsch.“ Wir brauchen wieder klare Ich-Botschaften, die uns dabei helfen, unsere Ziele ins Auge zu fassen. Die Gefahr ist aber groß, dass ohne diese klaren Ziele das viele Geld, das jetzt freigeschlagen wurde, erneut für Klientelpolitik, staatliche Umverteilung und – vielleicht am allerschlimmsten – für noch mehr Bürokratiemonster ausgegeben wird. Was bisher aus den Koalitionsverhandlungen heraussickert, lässt jedenfalls nichts Gutes erwarten. Das jedenfalls ist meine Wahrnehmung nach endlosen Abenden mit Talkshows und Tagesthemen, die ich auch in dem Buch, das ich mir zu meinem anstehenden 80. Geburtstag schenke, weiter ausführen werde. Wer eine andere Wahrnehmung unserer heutigen Diskussions-Unkultur hat, kann sie mir gerne als Kommentar oder per Mail unter hpbonn@hpbonn.consulting zukommen lassen. Das Buch „Analog war gestern – die jetzt notwendige Verfassungsänderung!“ wird im Spät-Sommer erscheinen. Wer neugierig geworden ist, kann schon jetzt eine Subskription zeichnen. Den Link dazu gibt es hier.
von Heinz-Paul Bonn 24. März 2025
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die von Bundestag und Bundesrat mit Zweidrittel-Mehrheit verabschiedete Grundgesetzänderung unterzeichnet. Sie wird nun noch im Bundesgesetzblatt veröffentlicht, dann haben Infrastruktur und Klimaschutz einen Quasi-Verfassungsrang und für diese, sowie Militärausgaben stehen nahezu unbegrenzte Mittel zur Verfügung. Schon scharren die Kommunen mit den Hufen, weil sie hoffen, dass die rund 100 Milliarden Euro, die an die Bundesländer fließen sollen, möglichst bald bei ihnen ankommen. Dass der alte Bundestag sich erst auf seine verfassungsgebende Kraft besinnen konnte, nachdem er abgewählt wurde – geschenkt. Dass hinter dem Giga-Wumms ein massiver Wortbruch von Union und Friedrich Merz steht – geschenkt. Dass mittelständische Unternehmen in Deutschland sich einen solchen Schritt schon im Herbst, wenn nicht noch früher, gewünscht hätten, um sich selbst vor der drohenden Insolvenz zu bewahren – geschenkt! Wir haben nun also rund eine Billion – eine eins mit zwölf Nullen – Euro zur Verfügung, um unsere Wehrfähigkeit, unsere Infrastruktur und unseren Klimaschutz zu verbessern. Dazu haben wir das Grundgesetz in einem hinteren Paragrafen geändert. Wenn die Milliarden aber zu einem Kurswechsel in Deutschland führen sollen, dann müssen wir auch unsere Verfassung ändern – genauer: unsere innere Verfassung! Wenn wir unsere innere Verfassung nicht grundlegend ändern, kommen unsere Militärausgaben, unsere Infrastrukturverbesserungen, unsere Klimaschutzmaßnahmen erst zum Tragen, wenn der amtierende US-Präsident seine zweite Amtszeit bereits beendet haben wird. Deshalb müssen wir unsere Bräsigkeit überwinden, die uns seit den Merkel-Jahren – unter Beteiligung praktisch aller politischen Parteien – lähmt. Wir müssen unsere Bürokratie abbauen und unsere Organisationen von unnötigen Nachweispflichten befreien. Wir müssen unsere Bedenkenträgerei gegenüber Neuem hinter uns lassen. Wir müssen uns die Besserwisserei im Nachhinein austreiben. Und nicht zuletzt müssen wir unsere Bequemlichkeit überwinden, die uns dazu verleitet, lieber auf die Umverteilung durch den Staat zu warten als auf die eigenen Kräfte zu setzen. Und schließlich müssen wir wieder eine Sehnsucht, ja ein Verlangen empfinden, erfolgreich zu sein. Es hilft uns nichts, wenn wir jetzt in Schulklos investieren, wenn wir gleichzeitig vergessen, unsere Lehrerausbildung zu optimieren. Es hilft auch nichts, wenn wir in neue Maschinen investieren, aber an den alten Geschäftsmodellen festhalten. Wir brauchen keine amerikanischen Waffen, wenn es uns gelingen würde, eine einheitliche europäische Rüstungsindustrie in Gang zu bringen. Wir brauchen auch keine US-Cloud, wenn wir uns darauf besinnen, warum wir Gaia-X als europäisches Hightech-Projekt gestartet haben. Und wir brauchen auch keine Windkrafträder, wenn es uns nicht gelingt, die Energiewende vollständig zu Ende zu denken und dann konsequent zu vollziehen. Und ganz sicher gilt auch: der Mittelstand wird nicht investieren, wenn er nicht das Gefühl der Rechtssicherheit zurückgewinnt. Er wird nicht investieren, wenn die mit Mühe und Sorgfalt ins Land geholten Fachkräfte durch populistische Propaganda wieder vergrault werden oder deswegen erst gar nicht kommen wollen.. Und er wird nicht investieren, wenn ihm keine Perspektive für die Wiedergewinnung einer internationalen Wettbewerbsfähigkeit unseres Standorts geboten wird. Es ist unsere innere Verfassung an der wir arbeiten müssen. Dazu braucht es keine Zweidrittel-Mehrheiten im Bundestag, es braucht viel mehr: nämlich die Bereitschaft, sich um 180 Grad zu drehen. Nur wenn sich jeder für sich neu erfindet, werden wir die innere Verfassung so verändern, dass sich die Änderung des Grundgesetzes gelohnt haben wird. Ansonsten schaffen wir mit dem vielen Geld, das jetzt zur Verfügung steht, nur hohe Preise, vergangenheitsorientierte Beschaffungsprozesse und eine Investition in eine analoge Vergangenheit, die wir dringend hinter uns lassen müssen. Ich habe mir zu meinem anstehenden 80. Geburtstag ein Buch geschenkt, in dem ich mich genau diesen Themen widmen will. „Analog war gestern – die jetzt notwendige Verfassungsänderung!“ wird im Spät-Sommer erscheinen. Wer neugierig geworden ist, kann schon jetzt eine Subskription zeichnen. Den Link dazu gibt es hier.
von Heinz-Paul Bonn 17. März 2025
“I bought this before Elon went crazy.” Stickers with this or similar slogans—some even more drastic, like ”…before we realized Elon is crazy”—are increasingly appearing on electric cars from what was once the darling of the stock market. But this challenger to the German automotive industry has now been punished with a 40% drop in value. Some Tesla owners are rebranding their cars, slapping on Mercedes stars or Toyota badges. Others are offloading their Teslas at bargain prices because there are no buyers for used ones. And why would there be? In Germany alone, new Tesla registrations dropped by 75% in February. A German used-car platform has already complained about having over a thousand Teslas listed—cars that simply aren’t selling. In the U.S., where EVs have never been a status symbol for Republicans, Tesla sales have plummeted just as sharply. Even for Democrats, Tesla is no longer a brand people want to be seen with. Former astronaut Mark Kelly, now a Democratic U.S. senator, posted a viral video (see picture) —ironically on Musk’s own platform, X—returning his Tesla because, in his words, he doesn’t want to drive a car “designed by an asshole.” Kelly’s stunt was a direct response to Musk calling him a “traitor” after his visit to Kyiv. Swapping a Tesla for another EV is easy. The real challenge lies in sourcing critical American-made components. Already, hundreds of U.S. companies have formally raised concerns with the U.S. Department of Commerce, warning that a looming trade war could force them to scale back production or drive up costs due to essential components that are either exorbitantly expensive, difficult to source, or unavailable outside Europe. Even Tesla itself is among those petitioning for relief. But is this “Tesla moment” actually a precursor to a broader “Don’t buy American” movement in Europe? The signs are mounting. While the U.S. is already restricting digital services like intelligence-sharing for Ukraine—and even Elon Musk’s Starlink network is being reconsidered as a communication tool for the Ukrainian military—Europeans are starting to ask themselves which American services they might do without. Germany’s RedaktionsNetzwerk Deutschland has already compiled a list of alternatives to U.S. tech: Mozilla Firefox instead of Google Chrome, Freenet, GMX, or web.de for email instead of Gmail, Switzerland’s Threema instead of WhatsApp, DuckDuckGo as a search engine rather than Google, and Aleph Alpha instead of ChatGPT. And, of course, life without Instagram and Facebook is possible too. Another potential wedge issue is the core principle of the European Cloud Act, which mandates that personal or otherwise sensitive data must not be stored on servers outside the EU. Interpreted strictly, this law could effectively push unwanted American providers out of the European market, given that none of them have been able to unequivocally prove that European corporate data doesn’t ultimately end up in the NSA’s global server network. And we all remember Angela Merkel’s outraged declaration: “Spying among friends—this is unacceptable.” By now, we know: It happens anyway. What we don’t know is whether we’re still friends. Yet, the situation isn’t that simple. And even if it were, it wouldn’t be smart to act rashly. Replacing, say, Oracle databases with a European equivalent could take years and cost millions. Even SAP couldn’t function without Microsoft products. It’s safe to estimate that 90% of German midsize businesses rely on Microsoft Office to operate. Many American companies, though, don’t even register as American in the minds of consumers. Procter & Gamble and Mondelez hide behind beloved German household brands. And IT giants like Microsoft engage with Germany’s small and midsize businesses primarily through a network of 30,000 local partners. These companies now face a crucial challenge: maintaining a German narrative. The worst move would be to centralize communications and present themselves as purely U.S.-based corporations. Because the truth is, no one seriously wants to abandon U.S. products entirely. Yet, a sentiment is growing—one that echoes the “Ami go home” rhetoric of Germany’s student protests in the late ’60s. There’s nothing wrong with Europe asserting its strengths and prioritizing its own defense systems rather than deepening reliance on American suppliers—or worse, subjecting itself to the whims of a future Trump administration. But even these European defense systems contain plenty of U.S. patents. We neither can nor want to fully disentangle ourselves. When we eventually emerge from this Trump-Musk virus pandemic, “we will have a lot to forgive each other.” It’s crucial to interpret the Tesla moment correctly. Even Musk is now learning what it feels like to be on the receiving end of slash-and-burn politics. But in the end, we will find our way back to each other. That, too, would be a Tesla moment. P.S.: This blog post was created with American support. It was written using Microsoft Office on Microsoft Windows, backed up to Microsoft Cloud, and emailed via Google’s Gmail. But the website where it’s published? That runs on a server owned by 1&1’s subsidiary, Ionos.
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